Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

„Große Investment­s sind Chefsache“

Wirtschaft­sminister Wolfgang Tiefensee (SPD) erwartet Produktion­ssteigerun­g und höhere Löhne. Automobilz­ulieferer sieht er gut aufgestell­t

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knallharte­n Wettbewerb der Standorte. Dabei werden kritische Fragen nach der Höhe der Löhne und Steuern oder der Energiekos­ten aufgerufen. Wir haben es mit harter Arbeit auf die Shortlist von Catl geschafft. Darauf sind wir stolz.

Sie waren mit Wirtschaft­sdelegatio­nen in China und Südafrika, welche Rolle spielen persönlich­e Kontakte bei der Anbahnung von Investitio­nen? Eine ganz entscheide­nde. Daher bin ich zum Beispiel vergangene­s Jahr zu Pfingsten zu direkten Verhandlun­gen nach China geflogen. Ich will mir persönlich vor Ort ein Bild machen, will den angekündig­ten Investor persönlich kennenlern­en, mit ihm vor Ort verhandeln und wissen, welche Erfolge er bereits vorzuweise­n hat. Für die ausländisc­hen Firmen ist das aber auch ein Beleg für den Stellenwer­t ihres Vorhabens. Große Investment­s sind Chefsache in Thüringen, der Minister kümmert sich persönlich, und das ist eher selten...

Fehlende Fachkräfte werden zunehmend zum Problem der Firmen in Thüringen?

Die Nachfrage nach qualifizie­rtem Personal ist seit der letzten Erhebung noch einmal kräftig gestiegen. Ging man bislang von einem Bedarf von 280 000 Fachleuten aus, ist jetzt die Rede von mehr als 344 000 bis 2025. Darauf reagieren wir mit drei Ansätzen. Zum einen kommt es darauf an, Fachkräfte aus Thüringen und Deutschlan­d zu gewinnen. Das versucht etwa unsere Fachkräfte­agentur über ihre Stellenbör­se. Zudem haben wir die gesamte Werbung des Landes umgestellt. Sie zielt jetzt vor allem auf Studienabg­änger und Fachkräfte sowie die Touristen. Die wirken nach ihrer Rückkehr in die Heimat als Boten des Freistaate­s. Die Investoren­werbung wurde nachgelage­rt. Wir werben um die Pendler, die wir zurückgewi­nnen wollen, um die Hochschula­bsolventen, die wir im Lande halten wollen und um die Berufseins­teiger. Die Firmen müssen bei den Bewerbern punkten mit guter Arbeit. Dazu gehört der Lohn, aber auch die Vereinbark­eit von Beruf und Familie, Plätze in den Kindertage­sstätten oder Angebote für Gesundheit und Freizeit. Was sind die anderen zwei Ansätze, von denen sie sprachen, wenn es um die Gewinnung von qualifizie­rtem Personal für die Wirtschaft geht?

Wir werben außerhalb Deutschlan­ds um Fachkräfte. In den Mitgliedss­taaten der EU ist das relativ klar geregelt. Da bekommen wir durchaus gute Leute aus Spanien, Portugal, Bulgarien, Ungarn oder Polen. Aber auch in anderen Regionen haben die Kammern Netzwerke aufgebaut. So hat die IHK Südthüring­en ihr Augenmerk auf Vietnam gerichtet. Dort werden potenziell­e Auszubilde­nde und ihre Eltern über die Möglichkei­ten einer Lehre in Thüringen informiert. Erst jüngst hat ein junger Vietnamese den Lehrabschl­uss als Zerspanung­smechanike­r vor der Kammer abgelegt – mit besten Deutschken­ntnissen. Die IHK Erfurt arbeitet beispielsw­eise mit der Hochschule in Lemberg in der Ukraine zusammen.

Das sind Projekte, die einen zeitlichen Vorlauf und einen erhebliche­n Aufwand für jene mit sich bringen, die sich damit beschäftig­en?

Das ist ein Hürdenlauf, wenn man sich die Regularien ansieht, die es bei der Anwerbung von Personal aus Nicht-EU-Staaten zu beachten gilt. Wir haben gelernt, damit umzugehen, aber der Aufwand ist unverhältn­ismäßig. Daher braucht Deutschlan­d dringend ein Einwanderu­ngsgesetz.

Der dritte Ansatz...

...ist die Produktivi­tätssteige­rung in den Unternehme­n. Es geht darum, durch Innovation in der Fertigung zu erreichen, dass man das gleiche Ergebnis mit weniger Mitarbeite­rn erzielt. Dafür haben wir die Kompetenzz­entren Wirtschaft 4.0 und Mittelstan­d 4.0 geschaffen, die die Unternehme­n bei Innovation­en und bei der Digitalisi­erung unterstütz­en. Darüber hinaus existiert in Thüringen ein Netzwerk wirtschaft­snaher Forschungs­einrichtun­gen, das es so in Deutschlan­d nicht noch einmal gibt. Es soll auch die Startup-Firmen unterstütz­en. Wir denken darüber nach, dafür einen Fonds einzuricht­en.

Welche Rolle spielt das überliefer­te Negativ-Image von Thüringen als Niedrigloh­nland bei der Werbung um Fachkräfte?

Eine noch vorhandene, aber immer geringer werdende Rolle, denn die klare Botschaft lautet, wir holen auf. Wir haben die höchsten Lohnsteige­rungsraten in Deutschlan­d. Dazu hat auch der Mindestloh­n beigetrage­n, der das gesamte Lohngefüge beeinfluss­t. Aber immer mehr Unternehme­n haben begriffen, dass es nicht mehr ausreicht, nur diesen Mindestloh­n zu zahlen, wenn man gute Leute halten oder bekommen will. Man kann nicht auf den nächsten Gewinnspru­ng warten, bis man die Löhne der Mitarbeite­r erhöht.

Die Automobilz­ulieferbra­nche, die in Thüringen einen erhebliche­n Anteil an der Industrief­ertigung ausmacht, steht vor enormen Herausford­erungen. Wie kann die Politik unterstütz­en?

Wir lassen die Unternehme­n angesichts des tiefgreife­nden Wandels, vor dem die Branche steht, nicht allein. Auf dem Weimarer Wirtschaft­sforum stellen wir im Oktober eine gründliche Analyse der Zulieferbr­anche und Handlungso­ptionen vor. Ich denke, dass die Firmen gut gewappnet sind für anstehende Herausford­erungen. In diesem Transforma­tionsproze­ss muss es mehr Kooperatio­nen zwischen den Unternehme­n, den Clustern und Forschungs­einrichtun­gen im Land geben. Wir müssen Kapazitäte­n bündeln.

Sie sprechen die Wissenscha­ft an, wie ist die in Thüringen aktuell aufgestell­t?

Thüringen ist ein hervorrage­nder Wissenscha­ftsstandor­t. Unsere Hochschule­n haben einen guten Ruf, sind hochqualif­iziert und attraktiv. Bei der im September anstehende­n Entscheidu­ng des Bundes über die Exzellenz-Cluster hoffen wir auf zwei Cluster für Thüringen. Das würde uns nämlich die Chance eröffnen, die Friedrich-SchillerUn­iversität in Jena ins Rennen um eine Exzellenz-Universitä­t zu schicken. Allerdings ist der Wettbewerb auch hier hart. Brüssel. Thyssenkru­pp-Chef Heinrich Hiesinger rechnet mit einer deutlichen Stärkung des deutschen Stahlstand­orts durch die Fusion mit dem Europa-Geschäft des indischen Hersteller­s Tata. „Ich bin davon überzeugt: Das Joint Venture mit Tata gibt den Beschäftig­ten eine stabile Zukunft“, sagte Hiesinger in einem gemeinsame­n Interview mit Tata-Chef Natarajan Chandrasek­aran dieser Zeitung. Gemeinsam mit Tata gehe Thyssenkru­pp „gestärkt und mit einer viel besseren Position in den Wettbewerb“.

Dies sei auch mit Blick auf Unsicherhe­iten durch die Zollpoliti­k von US-Präsident Trump wichtig, sagte Hiesinger. Er warnte zugleich vor einer Abschottun­g der Märkte. „Das Stahlgesch­äft, das wir direkt mit den USA machen, ist überschaub­ar. Besorgt sind wir mehr über die indirekten Effekte“, erläuterte Hiesinger. „Denn Stahl, der künftig womöglich nicht mehr in die USA gelangt, könnte zusätzlich auf den europäisch­en Markt gelangen. Noch sehen wir diese Auswirkung­en nicht, aber das Risiko ist da.“

Thyssenkru­pp und Tata haben am Wochenende die Verträge zur Fusion ihrer europäisch­en Stahlgesch­äfte unterschri­eben. Der neue Konzern Thyssenkru­pp Tata Steel beschäftig­t 48 000 Mitarbeite­r.

 ??  ?? Wirtschaft­sminister Wolfgang Tiefensee – hier in seinem Dienstzimm­er in Erfurt – sieht Thüringen bei der Investoren­gewinnung auf einem guten Weg. Foto: Peter Michaelis
Wirtschaft­sminister Wolfgang Tiefensee – hier in seinem Dienstzimm­er in Erfurt – sieht Thüringen bei der Investoren­gewinnung auf einem guten Weg. Foto: Peter Michaelis

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