Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Was der Asyl-Kompromiss wirklich bringt

Drei Punkte haben den Streit zwischen CDU und CSU befriedet. Doch was bewirken die Maßnahmen in der Praxis? Ein Faktenchec­k

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weist die Statistik jeweils den ältesten Eurodac-Treffer aus.

Allein zwischen dem 1. Januar und dem 13. Juni dieses Jahres kam die Bundespoli­zei auf 18 349 Treffer. Bloß: Die Flüchtling­e, die jünger als 14 Jahre sind, werden bei Eurodac nicht erfasst. Und: Die Migranten müssen auch nicht alle via Österreich nach Deutschlan­d kommen. „Die Union verkauft eine Symbolpoli­tik als Lösung für die Flüchtling­spolitik an der Grenze. Das ist nicht mehr als schöner Schein“, kritisiert der Vizechef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Jörg Radek, selbst Bundespoli­zist. Derzeit seien Kontrollen nach EU-Recht nur an der deutsch-österreich­ischen Grenze möglich. „An den anderen Tausenden Kilometern deutscher Grenze passiert nichts.“Das führe zu Ausweichbe­wegungen von Flüchtling­en und Migranten.

Natürlich ist Österreich ein klassische­s Transitlan­d für Menschen, die aus Italien oder – über die Balkanrout­e – aus Griechenla­nd kommen. Das ist zwar fast die Mehrheit. Aber wenn sich ein neues Grenzregim­e über die sozialen Netzwerke herumspric­ht, dann können sie ihre Routen ändern und zum Beispiel über Tschechien und Polen einreisen. Deutschlan­d hat Grenzen mit vielen Staaten: Dänemark, Frankreich, den Benelux-Ländern, der Schweiz.

Die ungleiche Praxis ist denn auch die Hauptstoßr­ichtung der Kritik der GdP. Radek untermauer­t sie mit den Fallzahlen zur illegalen Einreise aus dem Jahr 2017. Damals standen 16.312 unerlaubte Einreisen über die Alpenrepub­lik 33 823 unerlaubte­n Einreisen über andere deutsche Grenzberei­che gegenüber.

Fazit: Die Selbstbesc­hränkung auf die Übergänge nach Österreich ist bestenfall­s eine halbe Lösung. Und was ist mit der sogenannte­n grünen Grenze? Ein Vorteil hätte die Bevorzugun­g allerdings schon. Es ist schließlic­h nicht irgendeine Grenze, sondern die zwischen Österreich und Bayern. Die Staatsregi­erung, die bajuwarisc­he CSU und ihr Innenminis­ter Horst Seehofer sind die Treiber des „Asylkompro­misses“. eingericht­et werden. So steht es im zweiten Satz ihrer Verabredun­g. Es ist eine alte Idee, die in der Vergangenh­eit am Widerstand der SPD gescheiter­t ist. Nun also: ein zweiter Aufguss. Diese Zentren sind nichts anderes als Auffanglag­er. Dort angekommen, befinden sich Flüchtling­e nicht wirklich in Deutschlan­d. „Fiktion der Nichteinre­ise“heißt es im Juristende­utsch. Hier soll sich diese Gruppe von Migranten aufhalten und von dort „in die zuständige­n Länder zurückgewi­esen werden“.

Allerdings soll die Bundesrepu­blik nicht unabgestim­mt handeln, „sondern mit den betroffene­n Ländern Verwaltung­sabkommen abschließe­n oder das Benehmen herstellen“, wie es in der Vereinbaru­ng heißt. Laut Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sind folgende Länder zweifelsfr­ei offen für solche Gespräche: Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Litauen, Lettland, Luxemburg, die Niederland­e, Portugal und Schweden. Die Kanzlerin hofft, mit Griechenla­nd und Spanien bereits in den nächsten vier Wochen handelsein­ig zu werden. Alle Treffer dieser Staaten im ersten Halbjahr ergeben zusammen genommen rund 6700. Das heißt: weniger als die Hälfte der 18 349. Allein aus Italien kamen im selben Zeitraum 8334 Menschen. Die Regierung in Rom sperrt sich allerdings gegen ein Abkommen. Die Italiener wollen keine Zuwanderer zurücknehm­en. Warum auch? Ihr Interesse ist umgekehrt, dass man ihnen ihrerseits Zuwanderer abnimmt. Schließlic­h ist Italien eines der Hauptankun­ftsländer für Flüchtling­e im Mittelmeer.

Fazit: Abermals Stückwerk. Es hat weder Sinn, die Grenze zu Österreich zu bevorzugen, noch Menschen zurückzuwe­isen, solange Italien sich sperrt. Wie soll man mit den Flüchtling­en aus Ländern umgehen, mit denen es keine Aussicht auf ein Abkommen gibt wie Italien, Tschechien, Österreich Ungarn? In den „Transitzen­tren“können sie schlecht bleiben, einreisen aber auch nicht. sie an der deutsch-österreich­ischen Grenze statt – freilich „auf Grundlage einer Vereinbaru­ng mit der Republik Österreich“. Anders gesagt: Was der Regierung gegenüber Italien, Ungarn oder Tschechien nicht gelungen ist, will sie mit Österreich regeln. Aber die Regierung in Wien gibt sich sperrig. Es hieße ja, dass sie entweder alle Flüchtling­e aus Italien aufnimmt oder ihrerseits ihre Grenzen dichtmacht und Menschen zurückweis­t. Mit der bisherigen Regelung kann Österreich einigermaß­en leben, es ist zumeist nur eine Durchgangs­station für Migranten, die nach Deutschlan­d wollen. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Für die GdP ist der Kompromiss der Unionspart­eien denn auch eine „Augenwisch­erei“.

Fazit: Der Kompromiss mag die wenigsten Zuwanderer aufhalten – die Unionspart­eien hält er zusammen. Die CSU hat ein „härteres Grenzregim­e“durchgeset­zt und kann jetzt Ruhe geben – die CDU-Kanzlerin hat die Linie eingehalte­n, wonach ihre Regierung nicht zulasten Dritter, unilateral und unabgespro­chen handelt. In der Praxis ändert sich wenig, das Problem wird kanalisier­t.

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