Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)
Zidane sitzt Deschamps im Nacken
Franzosen warten auf Wunschtrainer
Kazan. Emmanuel Macron hat sich angekündigt. Für das mögliche WM-Halbfinale seiner Franzosen will der Staatspräsident höchstpersönlich einfliegen. Kommt er nicht, muss Didier Deschamps wohl gehen. Denn für den neuen Rekordtrainer der Equipe Tricolore ist ein Sieg am Freitag (16 Uhr) gegen Uruguay und der Einzug in die Runde der letzten Vier Pflicht – trotz einer Jobgarantie und des FußballSpektakels gegen Argentinien. Ein Nachfolger ist schließlich längst ausgeguckt.
Zinedine Zidane, der WMHeld von 1998, der nach dem dritten Champions-League-Triumph mit Real Madrid zurückgetreten ist, wird sein Nachfolger. Davon geht selbst Deschamps, vor 20 Jahren Kapitän und kompromissloser Abräumer hinter dem Ballzauberer, aus. Die Mehrheit der Franzosen wünscht es. Die Frage ist nur: Wann?
Verbandspräsident Noel Le Graet hat zwar erklärt, Deschamps werde seinen Vertrag erfüllen können. Andererseits hat er aber auch das Halbfinale als Ziel ausgegeben. Wenn Deschamps das nicht schafft, wird es eng – und das obwohl der 49Jährige mit 50 Siegen der erfolgreichste Nationaltrainer der französischen Geschichte ist.
Und doch lässt die Kritik am „General“, wie er beim WMTriumph vor 20 Jahren genannt wurde, nicht nach. Kein Konzept, zu viele Regeln, kein Händchen für schwierigere Charaktere – irgendetwas hat immer irgendjemand auszusetzen. Nur Erfolge schützen Deschamps also vor dem Nachfolger. (sid) Samara. Die Stimmung am Tag danach hätte im brasilianischen Lager kaum besser sein können. 2:0 gegen Mexiko gewonnen. Check. Als fast letztverbliebener Topfavorit das Viertelfinale erreicht. Check. Im dritten Spiel in Folge kein Gegentor gefangen. Check. Und sich nicht einmal vom weltweiten Gerede über Schauspieler Neymar verrückt machen lassen. Check. Check. Check. Und so war das öffentliche Training der Brasilianer in Sotschi am Abend genau als das gemeint, als das es auch aufgefasst wurde: als Demonstration des eigenen Selbstbewusstseins. „Somos Brasil!“Wir sind Brasilien! Der Rest? Nicht so wichtig.
Dieser Rest bewertete die Sachlage nach den beiden Achtelfinals ein wenig anders. „Wir gehen ins Spiel, um es zu gewinnen. der Einzug ins Viertelfinale hat überhaupt keine Bedeutung, wenn wir das nicht schaffen“, sagte Manchester-City-Star Kevin de Bruyne, dem nach dem 3:2-Kraftakt Belgiens gegen Japan die Favoriten-Konstellation am Freitag in Kasan natürlich nicht entgangen ist: „Brasilien ist einer der Turnierfavoriten. Aber wenn man ein Turnier gewinnen will, muss man jede Mannschaft schlagen“, sagte der frühere Bundesligaprofi von Werder Bremen und dem VfL Wolfsburg. „Wir müssen nur auf uns schauen und unseren Job machen.“ Doch genau daran hatte es im Achtelfinale gegen Japan eben lange Zeit gemangelt. Die ewigen Geheimfavoriten, die nach der starken Vorrunde bereits als „Europas Brasilianer“gefeiert wurden, spielten zwar auch in Rostow am Don brasilianisch nach vorne, vernachlässigten ihre Defensive aber doch sehr. Und als es plötzlich 2:0 für Japan stand, glaubte kaum noch einer an das vorweggenommene Finale der (echten) Brasilianer gegen die (belgischen) Brasilianer.
Was dann aber folgte, gehört in die Kategorie „Historisches“. Eine Kopfball-Bogenlampe von Jan Vertoghen (69.) und ein Kopfball-Torpedo von Marouane Fellaini (74.) drehten das Spiel, dem nur noch die Veredelung fehlte. Und die sollte folgen: Im Handball hätte man wohl von einem Tor nach einer „Schnellen Mitte“gesprochen. Handgestoppte neun Sekunden vergingen vom Abwurf von Torwart Thibaut Courtois bis zu Nacer Chadlis Last-Minute-Treffer auf der Gegenseite.
Tor, Jubel, Abpfiff – und die Gewissheit, dass sich Fußballfans nun auf das BlockbusterSpiel dieser WM zwischen Brasilien und Belgien am Freitag (20 Uhr/ZDF)) freuen dürfen. „Das ist so ein Spiel, von dem man schon als kleiner Junge geträumt hat“, schwärmte Belgiens Nationaltrainer Roberto Martínez. Und: „Natürlich sind wir der Außenseiter. Brasilien ist das beste Team dieser WM.“
Diesen Nachweis sind die Brasilianer trotz eines GesamtTorverhältnisses von 7:1 (!) bislang allerdings schuldig geblieben. Statt Feinschmeckerhäppchen wurde eher Hausmannskost geboten – gewürzt mit einer Priese Neymar-Spektakel. Der Topstar der Seleção könnte am Ende dieser WM gleich doppelt ausgezeichnet werden: als bester Fußballer und als mit Abstand bester Schauspieler.
Auch gegen Belgien wird man sich wohl wieder auf das gesamte Neymar-Repertoire freuen dürfen. Weniger freuen dürften sich die Brasilianer dagegen, dass in Mittelfeldstaubsauger Casemiro der wahre Schlüsselspieler aus Tites Team gelbgesperrt fehlt. Ersetzen soll ihn Real-Madrid-Star Fernandinho.
Defensivarbeit gegen Japan vernachlässigt