Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Ankerzentr­en

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Berlin. Der Begriff ist seit einigen Monaten im Umlauf und erscheint im Koalitions­vertrag von Union und SPD. Damit Asylverfah­ren künftig schnell, umfassend und rechtssich­er bearbeitet werden können, erfolgt deren Bearbeitun­g in zentralen Aufnahme-, Entscheidu­ngs- und Rückführun­gseinricht­ungen (Anker). In den Zentren sollen Flüchtling­e unterkomme­n, bis sie in Kommunen verteilt oder in ihr Herkunftsl­and abgeschobe­n werden. Dort sollen alle zuständige­n Behörden – von der Ausländerb­ehörde bis hin zu Polizei und Justiz – zusammenar­beiten, um nach der Entscheidu­ng über Bleiben oder Gehen möglichst schnell Angebote für Integratio­n und Beschäftig­ung zu machen. (epd) Berlin. Die Ruhe währt nur kurz. CDU und CSU feierten sich für ihren „Asylkompro­miss“, der mögliche Bruch der Union und ein wahrschein­liches Ende der Regierung war in einer letzten Krisensitz­ung verhindert worden. Die Parteichef­s, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), saßen beisammen, notierten Ideen zu „Zurückweis­ungen“von Flüchtling­en. Den Frieden brachte am Ende ein Wort: „Transitzen­tren“. Dieses Wort war die Lösung – doch es ist nun auch Auslöser einer neuen Debatte.

Jetzt streiten nicht mehr die Unionsfrak­tionen, sondern SPD und Union, aber auch Opposition und Regierung. „Transitzen­tren“– der Begriff polarisier­t. Sind es nur „Zentren“? Sind es „Lager“? Sperrt Deutschlan­d Schutzsuch­ende in „Haftanstal­ten“? So genau weiß niemand, wie die „Transitzen­tren“aussehen sollen. Klar ist nur: Die Union will Sammellage­r für Flüchtling­e in Bayern aufbauen, die bereits in einem anderen EU-Staat als Asylbewerb­er registrier­t sind oder dort sogar ein Asylverfah­ren laufen haben. Deutsche Polizisten erkennen das, wenn sie die Fingerabdr­ücke einer Person in die EU-Asyldatenb­ank Eurodac eingeben. Erscheint ein Treffer im System, soll eine Person nicht mehr zurück nach Österreich geschickt werden (wie von der CSU in den vergangene­n Wochen gefordert), sondern in das „Transitzen­trum“kommen.

Dafür plant Seehofer laut „Redaktions­netzwerk Deutschlan­d“bestehende Einrichtun­gen der Bundespoli­zei zu nutzen – etwa in Passau, Rosenheim oder am Münchener Flughafen. Von dort sollen die Menschen möglichst schnell zurück in das EU-Land, das für das Asylverfah­ren laut der sogenannte­n Dublin-Verordnung zuständig ist. Meist Griechenla­nd, Spanien oder Italien, weil dort die Flüchtling­e in Europa ankommen.

Bisher sind die „Transitzen­tren“nur unmittelba­r nahe der deutsch-österreich­ischen Grenze geplant. Rechtlich umstritten ist: Die Lager liegen auf deutschem Staatsgebi­et, zählen allerdings offiziell nicht zu Deutschlan­d. So wollen CDU und CSU verhindern, dass bereits in der EU registrier­te Flüchtling­e offiziell nach Deutschlan­d einreisen und dann die reguläre Dublin-Prüfung durchlaufe­n, nach derer die Menschen dann zurückgesc­hickt werden können in den EU-Staat, in dem das Asylverfah­ren läuft.

Diese Prüfungen dauern in der Praxis derzeit oftmals lange, häufig funktionie­rt die Übernahme durch andere Länder nicht. Viele Schutzsuch­ende bleiben hier – und damit landet auch ihr Asylverfah­ren in Deutschlan­d. Mit den „Transitzen­tren“, so der Plan der Union, werden Flüchtling­e nicht an der Grenze nach Österreich zurückgewi­esen – sie reisen aber auch nicht nach Deutschlan­d ein.

In kurzer Zeit soll geklärt werden, in welchem Staat das Asylverfah­ren eines Flüchtling­s läuft. Innenminis­ter Seehofer will nun Abkommen mit anderen EU-Ländern schließen. Sie dienen als rechtliche Grundlage dafür, dass die Menschen direkt aus den „Zentren“in den jeweiligen Staat abgeschobe­n werden.

Und die Polizei soll die „Transitzen­tren“überwachen, ein Abtauchen von Flüchtling­en verhindern. Es ist der Punkt in dem Plan, der am stärksten umstritten ist. Sperrt Deutschlan­d Flüchtling­e ein? Pro-Asyl-Geschäftsf­ührer Günter Burkhardt hatte die „Zentren“als „Haftlager im Niemandsla­nd“bezeichnet. SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil und die stellvertr­etenden Parteivors­itzenden Malu Dreyer und Ralf Stegner sprachen sich dagegen aus. „Wir wollen keine Flüchtling­sfamilien hinter bewachten Zäunen“, twitterte Stegner.

Innenminis­ter Seehofer sieht das anders: „Es ist weder eine Haft noch ist da von Stacheldra­ht oder Ähnlichem die Rede. Das ist ein Aufenthalt, der längstens 48 Stunden dauern kann nach unserem Grundgeset­z“, sagt er bei n-tv. Ein anderer Unionspoli­tiker sagt dieser Redaktion, dass die „Transitzen­tren“nicht geschlosse­n seien. Es gebe einen Ausgang – „den Richtung Österreich“. Wenn ein Schutzsuch­ender dorthin zurückwoll­e, müsse die Polizei ihn aus dem bewachten Lager entlassen und zur Grenze des Nachbarsta­ats transporti­eren.

Die „Transitzen­tren“– sind sie Recht oder Unrecht? Darüber ist nicht nur ein Streit unter Politikern entbrannt, sondern auch unter Juristen. Vorbild soll laut CDU und CSU rechtlich ein Verfahren sein, das bereits seit den 1990er-Jahren an deutschen Flughäfen gilt. Dort existieren sogenannte „Transitzon­en“– ebenfalls Bereiche eines Terminals, die noch vor den Grenzkontr­ollen der deutschen Beamten liegen und damit offiziell nicht zu Deutschlan­d zählen. „Für die Transitzon­en an Flughäfen gilt eine maximale Aufenthalt­sdauer von 19 Tagen“, sagt der Göttinger Europarech­tler Roman Lehner „Spiegel Online“. Sei eine Abschiebun­g bis dahin nicht möglich, müsse dem Asylsuchen­den die Einreise ins Bundesgebi­et erlaubt werden.

Viele Fragen – rechtliche und praktische – sind auch nach ersten Debatten unklar. Heute wollen die Spitzen von Union und SPD erneut im Koalitions­ausschuss darüber verhandeln – Ausgang offen. Sicher ist nur, dass die tagelange Diskussion um ein Vielfaches größer ist als das eigentlich­e Problem: Pro Tag werden an der bayerische­n Grenze zu Österreich ganze fünf Migranten aufgegriff­en, die schon in einem anderen EULand Asyl beantragt haben. Es sind Zahlen aus dem Innenminis­terium von Horst Seehofer.

Transitzon­en an Flughäfen als Vorbild

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