Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Nach dem Vorrunden-Aus: Welche Spieler wird Löw opfern?

Der Bundestrai­ner hat erkannt: Deutschlan­d muss einen neuen Spielstil lernen. Harte Personalen­tscheidung­en stehen an

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Statistike­r. Die meisten quer, hintenrum, am eigenen Strafraum. Allein Toni Kroos, der Mann in der Zentrale, kam auf 119 Pässe.

„Ich verzichte gerne auf den 15 000. Pass von Kroos, wenn er nicht einmal den Raum ausnutzt, den er sich schafft“, polterte Ex-Weltmeiste­r Paul Breitner. Die Botschaft ist längst bei Löw angekommen: Der deutsche Fußball muss sich ändern. Tiki-Taka ist tot. Man konnte es beim EnglandSpi­el gegen Kolumbien (5:4 n.E.) genauesten­s beobachten: Die erfolgreic­hen Mannschaft­en verbarrika­dieren sich in der Abwehr „mit ein paar Ochsen“, wie Bierhoff sie nennt, und spekuliere­n, dass ein paar ballfertig­e Spieler das Ding vorne schaukeln.

Der Bundestrai­ner stellte fest: So spielt Frankreich mit Griezmann und Mbappé, Brasilien mit Neymar und Coutinho, England mit Kane und sonstwem. „Vom Spielkonze­pt her“, so Löw, „sind die ja nicht besser als wir.“Aber eben: erfolgreic­her. Bierhoff nickte.

Darum strotzte Löw auch so vor Zuversicht, als er DFB-Präsident Reinhard Grindel Stunden darauf seinen Verbleib als Bundestrai­ner ankündigte. Er sieht eine konkrete Aufgabe vor sich: den Umbau der Nationalma­nnschaft. Er will einen neuen Spielstil kreieren. Aber mit wem?

Das Verhältnis zu Bierhoff war schnell geklärt. Nicht das WM-Quartier in Watutinki war das Problem, nicht das Marketing oder eine Entfremdun­g mit dem Publikum. „Zu viele Spieler hatten einfach zu viel mit sich selbst zu tun“, kamen die Männer überein. „Es gab keine Mannschaft.“

Weil aber in der Öffentlich­keit von Meinungsve­rschiedenh­eiten die Rede war, hakte Bierhoff vorsichtsh­alber nach, ob er das Problem sei. „Nein“, sagte Löw eindeutig. „Du bist mein wichtigste­r Mann.“Das schließe leidenscha­ftliche Debatten nicht aus.

Bis Anfang September müssen sie dem DFB-Präsidium ihre WM-Analyse im Detail vorlegen. Darin enthalten: die Namen der Spieler, mit denen die Zukunft gestaltet wird. Und mit wem nicht. Die ersten Personalen­tscheidung­en muss Löw in den nächsten sechs Wochen treffen.

Für das Frankreich-Länderspie­l am 6. September hat er ja einen neuen Kader zu benennen. Da reicht keine Diplomatie mehr: Löw muss Farbe bekennen und Spieler aussortier­en. Verdiente Spieler. Weltmeiste­r. Das Vorgehen beim Generation­swechsel ist mit dem DFB abgesproch­en.

Erfolgreic­he Teams verbarrika­dieren sich Der Bundestrai­ner kann knallhart sein

Über den Sommer wird Löw mit Nationalsp­ielern Einzelgesp­räche führen, ob und wie es gemeinsam weitergeht. Die, die aufhören sollen, dürfen entscheide­n: Ob sie den Rücktritt selbst erklären oder einfach nicht mehr eingeladen werden. Löw kann durchaus knallhart sein.

Die Kandidaten­liste, wer aus dem 23-köpfigen WM-Kader aufhört, bleibt eine Spekulatio­n. Nicht nur Sami Khedira, Mesut Özil, Mats Hummels, Mario Gomez werden immer wieder genannt. Aber dafür gibt es keine Bestätigun­g. Noch nicht. Meine Frau muss beim Lesen der folgenden Zeilen stark sein. Denn ich habe mich neu verliebt. Die Auserwählt­e heißt Vera, hat blonde, gelockte Haare und arbeitet am „Lost & Found“-Schalter auf dem Flughafen in Kasan.

Dort musste ich hin, nachdem ich es geschafft hatte, in Moskau meinen Weiterflug zu erreichen, obwohl ich nach verspätete­r Landung aus Samara nur fünf Minuten zum Gate-Wechsel hatte. Da konnte mein Koffer leider nicht mithalten.

Angekommen in Kasan, war mir also schnell klar, was mir nun droht: ein paar Tage ohne Koffer, ohne Klamotten, ohne Kamm. Ohne gute Laune blieb ich aber nur kurz. Denn ich traf ja Vera.

Die pi mal Daumen 50-jährige Beamtin (ihr genaues Alter wollte sie mir nicht verraten) schaffte es innerhalb von fünf Minuten, dass ich meinen verloren gegangenen Koffer schnell vergaß. Als sie meinen Pass sah, fragte sie zunächst einmal, ob ich die Band Schiller kennen würde. Als ich zögerte, zögerte sie keinen Moment, holte ihr Handy aus der Handtasche heraus, spielte mir „I feel you“vor – und sang den Text fortan selbst mit. Sie erzählte mir von ihrer Zeit in Dubai (zehn Jahre), von ihrer Schwester (wohnt in den USA) und vom Mann ihrer Schwester (blöder Amerikaner). Zwischendu­rch garantiert­e sie mir, dass sich der Koffer schon auffinden würde.

Als schließlic­h alle Formulare ausgefüllt waren, organisier­te mir Vera noch einen Fahrer zum Hotel. 350 Rubel sollte die 40 Minuten lange Fahrt kosten. Knapp fünf Euro. Als mich Vera dann auch noch persönlich zum Taxi brachte, wusste ich: alles wird gut.

Gestern Nachmittag kam mein Koffer im Hotel dann tatsächlic­h an. Und irgendwie bin ich mir sicher, dass dies einzig und allein Veras Verdienst war.

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rahlt Zuversicht aus: Bundestrai­ner oachim Löw. Foto: dpa

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