Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

Flughafenv­erfahren

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Berlin. Die geplanten Zentren zur Zurückweis­ung von Flüchtling­en, die bereits in einem anderen EU-Land registrier­t sind, werden mit dem sogenannte­n Flughafenv­erfahren verglichen. Dabei handelt es sich um ein Schnellver­fahren im Transitber­eich eines Flughafens – also vor der Einreise des Betroffene­n, um zügig festzustel­len, ob ein Asylanspru­ch vorliegen könnte. Das Flughafenv­erfahren wurde 1993 in Deutschlan­d eingeführt. Angewendet wird es, wenn Flüchtling­e über einen sogenannte­n sicheren Herkunftss­taat einreisen oder keine gültigen Papiere bei sich haben. Innerhalb von zwei Tagen muss der Asylsuchen­de angehört werden und über sein Anliegen muss entschiede­n werden. (epd) Berlin. Der Vermerk ist drei Seiten lang, in vier Abschnitte unterteilt, kein Autor, kein Datum, keine Unterschri­ft, dafür ein Titel: „Errichtung und Betrieb von Transitzen­tren im Verantwort­ungsbereic­h der Bundespoli­zei an der DeutschÖst­erreichisc­hen Grenze.“Es ist ein „Non-Paper“, ein inoffiziel­les Arbeitspap­ier. Was die Fachleute für das Innenminis­terium aufgesetzt haben, dürfte Amtschef Horst Seehofer (CSU) kaum gefallen. Es listet alle Bedenken gegen den Plan der großen Koalition auf, Transitzen­tren an der Grenze zu Österreich einzuricht­en, aus denen künftig ein bestimmter Personenkr­eis von Flüchtling­en zurückgewi­esen werden soll.

Ernüchtern­d ist schon die Aufwand-Nutzen-Relation, rechnen Seehofers Experten doch nur mit monatlich „ca. 120-150 Migranten mit Eurodac-Treffern Kat1. an der deutsch-österreich­ischen Grenze.“Zum Verständni­s: Eurodac ist eine Datei, in der alle registrier­ten Flüchtling­e gespeicher­t sind. Und die „Kategorie 1“wiederum umfasst nach Angaben des Innenminis­teriums alle jene, die vor Ankunft in Deutschlan­d in einem anderen europäisch­en Staat Schutz beantragt haben. Im Ergebnis hätten 120 bis 150 Migranten CDU und CSU an den Rand eines politische­n Bruchs geführt. Und das, obwohl nicht mal fest steht, dass der Bund ermächtigt ist, Transitzen­tren in Eigenregie aufzubauen. In Abschnitt vier („Risiken und Handlungse­rfordernis­se“) heißt es: „Eine eindeutige Rechtsgrun­dlage zur Errichtung von Transitzen­tren und U msetzung der diesbezügl­ichen Maßnahmen existiert derzeit nicht.“Zur Klarstellu­ng solle Paragraf 15 Absatz 6 Aufenthalt­sgesetz geändert werden. Das ist eine herbe Erkenntnis für die Partei des Innenminis­ters. Das Kalkül der CSU ist es, dass Seehofer pünktlich zur Landtagswa­hl am 14. Oktober im Freiststaa­t „liefert“. Das ist ziemlich unwahrsche­inlich. Bereits heute beginnt die parlamenta­rische Sommerpaus­e in Berlin. Regulär treten die Abgeordnet­en danach erst am 10. September wieder zusammen – einen Monat vor der Wahl.

Es ist unrealisti­sch, in dieser kurzen Zeitspanne ein Gesetz in drei Lesungen zu beraten, zumal es durch den Bundesrat müsste. Errichtung und Betrieb solcher Einrichtun­gen ist nach Einschätzu­ng von Juristen Ländersach­e. Sie beziehen sich auf eine Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs vom 25. Februar 1999. Das könnte Seehofer umgehen, indem er die Transitzen­tren zu einem „Modellproj­ekt“des Bundes erklärt. Selbst wenn der Schweinsga­lopp durch Bundestag und Bundesrat gelänge, blieben vor einer Inbetriebn­ahme noch zwei Hürden: Verwaltung­sabkommen mit wichtigen EU-Partnersta­aten und der eigentlich­e Aufbau der Transitzen­tren.

Die praktische­n Einwände im Ministeriu­mspapier wiegen schwer. Erstens: „Die Kapazitäte­n von Linienflug­verkehr reichen für die Anzahl der Rückführun­gen nicht aus“. Zweitens: Rückführun­gen können offenbar nicht innerhalb der 48 bis 72 Stunden erfolgen, die Union und SPD vorschwebe­n. Wörtlich heißt es: „Die Rückführun­gen können nicht in der o.g. Frist durchgefüh­rt werden, da hierdurch Kapazitäts­engpässe in den Transitzen­tren entstehen können.“Im Klartext: Über das Schicksal der Menschen müsste schneller entschiede­n werden. Sonst laufen die Lager über.

Verwirrung herrscht darüber, ob die Menschen die Lager verlassen könnten. Zurück nach Österreich geht es immer, so viel steht fest. „Es sind keine geschlosse­nen Anstalten“, beteuerte Seehofer am Donnerstag im Bundestag. Das ist für die SPD ein entscheide­nder Punkt. Auffällig ist, dass sich alle drei voraussich­tlichen Transitzen­tren im Osten und Süden des Freistaate­s befinden, kein einziges im westlichen Einsatzrau­m. Deswegen heißt es in dem Papier: „Ausweichbe­wegungen von Migranten über andere Binnengren­zen führen zu folgenden Konsequenz­en: die Transitzen­tren in Bayern laufen ins Leere“.

Der breiten Öffentlich­keit sind die praktische­n Einwände bislang kaum bewusst. Auch die Parteien im Bundestag konzentrie­ren sich darauf, ob es Seehofer gelingt – politisch schwer genug –, Verwaltung­sabkommen mit Nachbarsta­aten abzuschlie­ßen. Indes sperren sich gerade die Staaten, auf die es buchstäbli­ch ankommen würde: Österreich, Italien, Tschechien, Ungarn.

Es ist eine Ironie, dass Seehofer die Überzeugun­gsarbeit leisten muss. Ein hoher Regierungs­beamter spottet: „Die Kanzlerin ist bald wieder auf der internatio­nalen Bühne auf dem NatoGipfel unterwegs, während sich Seehofer mit renitenten Staaten herumschla­gen muss. Er kann keine Fremdsprac­he, fliegt ungern, und seine einzige Form der Diplomatie ist das Armdrücken.“ Wien/Berlin. Der mit großem Tamtam verkündete Asylkompro­miss zwischen CDU und CSU ist noch nicht einmal drei Tage alt, da stellt sich heraus: EU-Schlüssels­taaten wie Österreich oder Ungarn machen bei der Rücknahme von Flüchtling­en aus Deutschlan­d nicht mit.

Das bekam auch Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) bei seinem Treffen mit Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) am Donnerstag in Wien zu spüren. Bereits vor der Begegnung hatten Kurz, Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Kickl Pflöcke eingeschla­gen: „Wir werden keine Verträge zulasten Österreich­s abschließe­n.“Trotz dieser Misstöne wollen Österreich und Deutschlan­d in Grundsatzf­ragen an einem Strang ziehen. Zusammen mit Italien solle die Mittelmeer-Route möglichst geschlosse­n werden, kündigte Kurz nach dem Treffen mit Seehofer an. Für nächste Woche ist ein Treffen der Innenminis­ter aus Deutschlan­d, Österreich und Italien in Innsbruck geplant. Seehofer hob hervor, dass der Asylkompro­miss von CDU und CSU keine Nachteile für Österreich haben solle. In der Asyl-Einigung war die Einrichtun­g von Transitzen­tren an der deutsch-österreich­ischen Grenze vereinbart worden. Asylbewerb­er, für deren Verfahren „andere EU-Länder zuständig“seien, sollten an der Einreise nach Deutschlan­d gehindert werden. Hierfür müssten Verwaltung­sabkommen mit den entspreche­nden Regierunge­n abgeschlos­sen werden. Doch nur Griechenla­nd und Spanien haben bislang ein Ja zu einem Abkommen signalisie­rt.

Zuständigk­eiten, Zusagen und Kapazitäte­n fehlen

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Innenminis­ter Seehofer (l.) und Kanzler Kurz. Foto: rtr
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