Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)
Trainer-Legende an der Krücke
Oscar Tabárez führt Uruguay heute gegen Frankreich
Vereins- und Nationaltrainer in Uruguay wie in den 1980er-Jahren, bei Klubs wie Boca Juniors oder AC Mailand in den 1990ern oder seither wieder beim Verband, zunächst als Nachwuchskoordinator, seit 2006 erneut als Nationaltrainer, mittlerweile als beides, mit einem WMHalbfinale 2010 und einer Südamerikameisterschaft 2011 als Höhepunkte. Tabárez ist der Kümmerer des uruguayischen Fußballs. Eine Vater-, ja Großvaterfigur, die ihre Schäfchen bis zum Äußersten verteidigt. 2014 trat er aus Protest gegen die harte Strafe für den Biss von Luis Suárez von seinen Fifa-Ämtern zurück. Damals hielt er in Rio de Janeiros Maracanã-Stadion eine 20minütige Rede. „Mir kommt die Sündenbocktheorie in den Kopf: ein Exempel zu statuieren, damit das Kollektiv weiß, was gut und was schlecht ist“, formulierte er. „Grundsätzlich sind wir damit einverstanden, aber es gibt eine Gefahr: Man vergisst, dass der Sündenbock in Wirklichkeit eine menschliche Person ist, die Rechte hat.“
Der Maestro ist die Sorte Lehrer, denen man zuhört. Der den Geist stimuliert, ohne zu bevormunden. Bei den Pressekonferenzen, seinen WM-Audienzen, ist der Saal in der Regel bis auf den letzten Platz gefüllt, wenn er mit sonorer Stimme und rhetorischen Kunstpausen solche Sätze sagt: „Der Fußball ist nicht das Wichtigste, aber er ist ein Vehikel, um zu den wichtigsten Dingen vorzustoßen“. Dann lauschen auch Weltstars wie Luis Suárez oder Edinson Cavani andächtig einem Trainer, der durch seine Krankheit noch mehr zur Inspiration geworden ist, der kein Mitleid will und in Interviews Mutter Teresa zitiert: „Mach’ weiter, auch wenn alle darauf warten, dass du aufgibst ... Wenn du wegen des Alters nicht mehr rennen kannst, trabe. Wenn du nicht mehr traben kannst, gehe. Wenn du nicht mehr gehen kannst, benutze den Stock. Aber bleib’ nie stehen.“
Trainer der „Celeste“– der Himmelblauen – zu sein ist kein einfacher Job. Das Land mag nur gut drei Millionen Einwohner haben, aber für Uruguay ist Dabeisein nicht alles. Uruguay ist zweimaliger Weltmeister. Auf dem Trikot trägt es sogar vier Sterne, weil die Olympischen Spiele 1924 und 1928 von der Fifa als Weltmeistertitel geführt wurden. Dazu 15 Südamerikameisterschaften, Rekord. Die Ängste, dieser großen Geschichte nicht zu genügen, begleiten jede Mannschaft.
Als Tabárez 2006 zurückgerufen wurde, war das Gefühl jedoch verblasst. Der Maestro brachte eine Radikalreform auf den Weg und sorgte unter anderem dafür, dass die Vereine ihre Jugendspieler dreimal die Woche zum Training im nationalen Leistungszentrum abstellen. „Der Weg ist die Belohnung“lautet einer seiner Weisheiten. Heute soll dieser Weg wieder so weit führen wie 2010.
Für die Südamerikaner ist Dabeisein nicht alles