Kampf gegen den Zucker
Die Deutschen essen zu viel Süßes – die Folgen sind Übergewicht und teure Krankheiten. Experten nehmen nun die Politik in die Pflicht
Entwicklungsland“, sagt Martin Litsch, Vorsitzender des AOKBundesverbandes. Im zuständigen Bundesernährungsministerium gebe es wenig Bereitschaft, daran etwas zu ändern, obwohl die Deutschen im Zuckerranking weit vorne liegen.
Ein Erwachsener verzehrt hierzulande im Schnitt 32 Kilogramm Zucker pro Jahr – die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt bei nicht mehr als 18. Jeder zweite Erwachsene und jedes fünfte Kind ist übergewichtig. Zu den Folgeerkrankungen zählt neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor allem Diabetes Typ 2. „Ernährungsbedingte Krankheiten verursachen in Deutschland jährlich Kosten von 70 Milliarden Euro“, sagt Litsch.
Und immer häufiger wird die Grundlage dafür schon im Kindesalter geschaffen. Allein von den 305 Kindern, die für die MPIB-Studie befragt wurden, war jedes vierte übergewichtig. „Die Eltern sind Türsteher für die Ernährung ihrer Kinder“, erklärt MPIB-Direktor Ralph Hertwig.
Doch zu oft seien sie
selbst schlecht informiert: Drei Viertel schätzten den Zuckergehalt von Orangensaft, Cola und Ketchup in der Studie falsch ein. 90 Prozent tippten, dass ein handelsüblicher Fruchtjoghurt etwa vier Würfel Zucker enthält – tatsächlich seien es elf.
Nur ein Beleg von vielen, dass reine Aufklärung der Verbraucher nicht ausreicht, sagt Ilona Kickbusch vom Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung in Genf. Gesetzliche Maßnahmen müssten stets Teil der Strategie sein. So sei in vielen Nationen Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, verboten. In mittlerweile 19 Ländern, darunter Frankreich, Dänemark, Ungarn, Mexiko und Thailand sowie einzelne Staaten der USA gebe es eine Steuer auf zuckerhaltige Limonaden, worauf deren Konsum merklich gesunken sei. „Eine Steuer allein wird das Problem nicht lösen, aber sie bringt das Thema in die Gesellschaft“, sagt die Expertin.
Als Vorbild gilt die kürzlich beschlossene Regel für Großbri- tannien. Dort müssen Hersteller ab 2018 eine nach Zuckergehalt gestaffelte Steuer auf süße Getränke zahlen. „Allein die Androhung dieser Maßnahme hat bei Unternehmen schon jetzt zum Handeln geführt“, sagt Graham MacGregor.
Der Mediziner sitzt im Vorstand der britischen Initiative „Consensus Action on Salt & Health“(Cash). Mit Unterstützung der Regierung und der Industrie erarbeitete sein Team Reduktionsstrategien für Salz, Zucker und Fett in Fertigprodukten. So gab es für Brot die Vorgabe, den Salzgehalt über sieben Jahre schrittweise von 1,1 Gramm pro 100 Gramm auf 0,9 Gramm zu senken – ein Erfolgsmodell. „Der Geschmack der Verbraucher muss langsam von Zucker und Salz entwöhnt werden“, so MacGregor, „sonst kauft er die Produkte nicht.“Eine schrittweise Reduzierung bemerke der Käufer hingegen meist gar nicht – zum Vorteil aller Beteiligten.
Die Hersteller notfalls zur Kasse zu bitten, wenn sie die Maßnahmen nicht freiwillig mitmachen, findet der Wissenschaftler unproblematisch: „Würde eine Flasche Cola ähnlich besteuert wie Zigaretten, würde sie zehn Euro kosten und das wäre in Ordnung – schließlich sterben jährlich mehr Menschen an falscher Ernährung als an Tabakkonsum.“
Doch von verbindlichen Regelungen ist die deutsche Politik weit entfernt. Bereits 2015 hatte der Deutsche Bundestag die Regierung beauftragt, eine „Nationale Strategie zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten“zu entwickeln. Mit reichlich Verspätung legte Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) im Mai einen Entwurf vor. Bei der Reduktion von Zucker konzentriert sich das Konzept, das dieser Redaktion vorliegt, auf „zuckergesüßte Erfrischungsgetränke, Frühstückscerealien sowie Joghurt- und Quarkzubereitungen“. Die Ansätze dürften durchaus im Sinne vieler Kritiker sein. Auch hier ist eine schrittweise Reduzierung des Zuckergehalts geplant. Vom Bund finanzierte Forschungsprogramme sollen künftig Verfahren und „neuartige Stoffe“hervorbringen, „deren Einsatz es erlaubt, die zugesetzte Menge Zucker zu reduzieren“, ohne dass der Geschmack leidet. Doch: „Die Grundlage für die Reduktionsstrategie ist Freiwilligkeit“, sagte Christian Schmidt dieser Redaktion.
„Auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Lebensmittelindustrie kann man sich nicht verlassen“, kommentiert AOKVorstand Litsch. Ohnehin komme die Ansage kurz vor Ende der Legislatur reichlich spät und bleibe in wesentlichen Teilen unverbindlich. 6 aus 49: 13-17-29-38-41-42
Superzahl: 4
Super 6: 974551
Spiel 77: 4627810
(Alle Angaben ohne Gewähr)