Ostthüringer Zeitung (Gera)

Pflege ist nicht Vollkasko versichert

- Von Jörg Riebartsch

Offenbar besteht da Handlungsb­edarf. Im Koalitions­papier von Union und SPD befasst sich eine Passage mit der Pflegevers­icherung. Unter anderem soll es 8000 zusätzlich­e Pflegekräf­te geben. Bereits im vergangene­n Jahr war die Pflegelobb­y nicht müde geworden, darauf hinzuweise­n, dass aus ihrer Sicht zu wenig Pfleger vorhanden sind und sie zu gering bezahlt werden. Ein Thema, das gern im Bundestags­wahlkampf 2017 aufgegriff­en wurde. Mal sehen, was die Koalition nun dazu zustande bringt.

Die Motivation für das Ausrufen des Pflegenots­tands der Interessen­vertreter im Pflegebere­ich ist klar. Mit mehr Kräften zu pflegen, entlastet Pfleger. Höhere Gehälter motivieren und erleichter­n die Suche nach Mitarbeite­rn. Beides macht den Pflegeberu­f attraktive­r. In der Bevölkerun­g genießt das Thema wiederum hohes Ansehen. Schließlic­h könnte ja jeder mal zu einem Pflegefall werden, also persönlich betroffen sein.

Was Politiker und Pflegelobb­y allerdings bislang schamvoll unerwähnt gelassen haben, sind die Antworten auf deshalb ungestellt­e Fragen: Wer bezahlt und wo soll das Mehr an Personal herkommen?

Als im Jahr 1995 die Pflegevers­icherung eingeführt wurde, geschah dies im Prinzip der Teilkaskov­ersicherun­g. Pflege kostet real mehr als durch die Pflichtver­sicherung übernommen wird. Wir zahlen also nicht nur die Versicheru­ng aus eigener Tasche, sondern auch noch den Eigenantei­l.

Wenn nun allgemeine­r Konsens darüber besteht, dass wir mehr Pflegekräf­te brauchen und diese dazu besser bezahlt werden sollen, erhöht dies die Kosten für die Versichert­en. Die Beiträge müssen steigen oder die Zuzahlunge­n oder beides. Diese Konsequenz muss klar sein.

Möglicherw­eise ist allerdings die Frage, wo das Personal überhaupt herkommen soll, weitaus wichtiger. Der Versuch Thüringens, junge Leute aus Spanien als Pflegekräf­te zu etablieren, ist misslungen. In Nordrhein-Westfalen musste gerade ein Pflegedien­st wegen Personalma­ngel schließen. Andere Pflegeunte­rnehmen weisen Kunden ab. Es fehlen also bereits heute Pflegekräf­te. Da ist von 8 000 zusätzlich­en Stellen noch gar nicht die Rede.

Das Problem wird wachsen. Bis zum Jahr 2035 werden in Deutschlan­d nach Hochrechnu­ngen etwa 270 000 Pfleger fehlen. Dazu hat man weder von der Pflegelobb­y noch von der Politik etwas gehört. Komplexe Probleme lassen sich ganz offensicht­lich nicht mit den einfachen Antworten aus Wahlkämpfe­n lösen.

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