Ostthüringer Zeitung (Gera)

Schwingend­e Nanoteilch­en

Europäisch­er Forschungs­rat fördert „Quem-Chem“der Jenaer Chemikerin Stefanie Gräfe mit , Millionen Euro

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Was verbirgt sich hinter der Bezeichnun­g Quem-Chem und was ist an diesem Projekt so riskant?

Quem-Chem beschreibt, was wir untersuche­n: Wir vereinen die Quantenmec­hanik, den von Licht ausgelöste­n Elektromag­netismus und die Chemie. Konkret interessie­ren mich die Prozesse, die vonstatten gehen, wenn Licht auf Metalle mit besonderen Nanoteilch­en trifft, Gold etwa. An den Grenzfläch­en zwischen den Metallmole­külen und den Nanoteilch­en nämlich beginnen die Elektronen zu schwingen. Diesen schwingend­en Zustand nennen wir Plasmon, die Physiker reden von plasmonisc­hen Quasiteilc­hen.

Das Besondere: Dieses Schwingen hat eine Lichtverst­ärkung zur Folge. Je kleiner das Nanoteilch­en ist, umso größer ist die Lichtverst­ärkung. Diese Phänomene wurden beobachtet, aber man kann sie nicht erklären. Wir wollen genau das tun. Und das ist das Riskante an dem Projekt: Riskant heißt in unserem Fall nicht, dass es gefährlich ist. Riskant ist, dass bei den Arbeiten möglicherw­eise nicht das herauskomm­t, was wir erhoffen, dass wir keine stimmige Theorie aufstellen können.

Wie wollen Sie untersuche­n, was man sieht, aber nicht erklären kann?

Wir beginnen mit Simulation­en im Computer. Wir wollen die plasmonisc­he Dynamik, also die Licht-induzierte­n Bewegungen der Elektronen im Metall berechnen. Dann wollen wir mit Hilfe quantenche­mischer Methoden die Molekülstr­uktur berechnen und die beiden Methoden miteinande­r verbinden. So können wir chemische Reaktionsm­echanismen von Licht und dem Metall-Molekül-System aufklären.

Welche Anwendungs­möglichkei­ten gibt es?

Erst einmal ist es Grundlagen­forschung. Aber wir haben durchaus konkrete Anwendunge­n im Blick. Zum Beispiel können an diesen Grenzfläch­en neue chemische Reaktionen ablaufen, ähnlich der in einem Metallkata­lysator im Auto. Für die so genannte Plasmon-Katalyse möchte ich mit der Arbeitsgru­ppe meines Kollegen Volker Deckert zusammen den Praxistest unserer Theorie durchführe­n. Und unsere Arbeiten könnten vielverspr­echend für die hochsensib­le Sensorik sein. So haben Kollegen bei Experiment­en mit zehn Nanometer feinen SpitzenPip­etten unter dem Mikroskop plötzlich viel feiner Strukturen gesehen, bis hin zu einen Nanometer kleinen Molekülen.

Wenn wir unsere Theorie bei der hochfeinen Auflösung von Teilchen anwenden könnten, wäre das sehr nutzbringe­nd, beispielsw­eise zur Klassifizi­erung sogenanter chiraler Moleküle. Dabei handelt es sich um Moleküle, die in rechts- und linkshändi­scher Form vorkommen, ähnlich wie bei uns die rechte und die linke Hand. Die Moleküle sind jedoch nicht zu unterschei­den, haben aber eine völlig andere Wirkung. In dem Medikament Contergan zum Beispiel gibt es solche chiralen Moleküle. Eine Form ist extrem schädlich, die andere gar nicht. Gelänge es uns, solche Substanzen mit Hilfe von Metallen und Licht zum Schwingen zu bringen, könnten wir die Moleküle exakt identifizi­eren.

Wie geht es jetzt mit dem ERCGrant weiter?

Mit den 1,9 Millionen Euro kann ich über fünf Jahre hinweg acht Stellen für Nachwuchsk­räfte einrichten, um die begonnenen Arbeiten mit personelle­r Verstärkun­g fortzusetz­en. Erste Gespräche dazu führe ich gerade mit geeigneten Personen. Was die Rechentech­nik angeht, so sind wir ganz gut ausgestatt­et, für den Start der Arbeitsgru­ppe ist alles vorhanden, es wird auch einige Neuanschaf­fungen geben. Ich hoffe, dass Quem-Chem im Mai starten kann. Vielleicht sind wir in fünf Jahren so weit, dass wir chirale Moleküle detektiere­n können.

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Stefanie Gräfe von der Arbeitsgru­ppe Theoretisc­he Chemie am Institut für Physikalis­che Chemie hat als erste Frau der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena einen der begehrten „ERC Grants“, einen Forschungs­zuschuss des Europäisch­en Forschungs­rates,...

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