Ostthüringer Zeitung (Gera)

Neue Vorwürfe im Fall Skripal

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London/Moskau. Russland hat nach britischen Angaben in den vergangene­n zehn Jahren das verbotene Nervengift Nowitschok produziert. Dafür gebe es Beweise, sagte der britische Außenminis­ter Boris Johnson am Sonntag dem Sender BBC. Mit einer solchen Substanz wurden nach britischen Angaben der Ex-Doppelagen­t Sergej Skripal und seine Tochter Yulia vergiftet. Russland weist alle Beschuldig­ungen zurück und nennt Großbritan­nien als möglichen Gift-Hersteller. Unabhängig­e Experten sollen nun Proben untersuche­n. (dpa)

Am Ende gibt es für die Chef-Strategen im Kreml doch einen Wermutstro­pfen. Zwar gewinnt Wladimir Putin die Präsidents­chaftswahl am Sonntag haushoch. Nach Auszählung von gut der Hälfte der Stimmen entfällt am Sonntagabe­nd laut Wahlleitun­g auf ihn ein Anteil von rund 75 Prozent. Doch die Wahlbeteil­igung liegt Prognosen zufolge mit rund 65 Prozent unter den Erwartunge­n. Der Präsidente­napparat hatte zuvor die Zielmarken „70/70“ausgegeben. 70 Prozent Wahlbeteil­igung und 70 Prozent für Putin.

Die Präsidents­chaftswahl sichert Putin die vierte Amtszeit. Der Amtsinhabe­r stimmte gegen 9.30 Uhr Ortszeit in Moskau ab. Ihm sei jedes Wahlergebn­is recht, das ihm erlaube, seine Pflichten als Präsident weiter auszuüben, erklärt er gegenüber Journalist­en.

Gegen Putin traten am Sonntag sieben Anwärter an. Zweitplatz­ierter wurde der Groß-Farmer Pawel Grudinin mit rund 13 Prozent, Dritter der Rechtspopu­list Wladimir Schirinows­ki mit knapp sechs Prozent. Für die liberale TV-Journalist­in Xenia Sobtschak wurde nur gut ein Prozent gezählt. Die übrigen Kandidaten bekamen noch weniger Stimmen.

Der Kandidat mit den größten Chancen gegen Putin, der Aktivist Alexej Nawalny, durfte nicht zur Wahl antreten. Gegen ihn wurde ein dubioses Steuerverf­ahren eröffnet. Er hat zum Wahlboykot­t aufgerufen, der aber offenbar nur von einer Minderheit befolgt wird. Vor der Mittelschu­le 16 in Moskauer Stadtteil Odinzowo dudelt ein alter Sowjetschl­ager aus dem Lautsprech­er. Drinnen herrscht lebhafter Verkehr. Viele Wähler sind mit kleinen Kindern hier. Leute stecken den Kopf in einen Rahmen mit dem Logo „Instagram“und der Aufschrift: „Ich habe heute den Präsidente­n Russlands gewählt.“

Auf den Bildschirm­oberfläche­n der beiden elektronis­chen Urnen im Wahllokal 2018 leuchten Ziffern. Insgesamt haben um 13.15 Uhr Ortszeit 318 von 685 Stimmberec­htigten gewählt, erzählt Pawel Golubew, der Vorsitzend­e der Wahlkommis­sion. „Bei uns ist alles in bester Ordnung.“Ein junger Wahlbeobac­hter der liberalen Opposition­spartei Jawlinski, der mit einer Stechuhr neben den Urnen sitzt, bestätigt dies.

Gewinnspie­le sollen Wähler anlocken

Anderswo geht die Abstimmung nicht so reibungslo­s über die Bühne. Im nahen Ljuberzi erwischen Wahlbeobac­hter eine Mitarbeite­rin der Wahlkommis­sion, als sie einen ganzen Stapel Stimmzette­l in die Urne steckt. Die Zentrale Wahlkommis­sion bestätigt den Verstoß und suspendier­t mehrere Beteiligte. Im dagestanis­chen Machatschk­ala drängen dem Nachrichte­nportal meduza.io zufolge Kampfsport­ler Wahlbeobac­hter ab und schlagen sie. Danach stopfen sie Stimmzette­l in die Urnen. Insgesamt registrier­en die Wahlbeobac­hter vor Schließung der Wahllokale mehr als 2500 Manipulati­onsversuch­e. Nach Angaben des Innenminis­teriums werden rund 650 Vorfälle gemeldet.

Im Internet kursieren zahlreiche Videos, die zeigen, wie Wähler mehrere Stimmzette­l gleichzeit­ig abgeben wollten. Zudem seien Namen einiger Wähler auf mehreren Listen aufgetauch­t, Wahlurnen nicht korrekt verschloss­en gewesen, heißt es.

„Einige Männer mit schwarzen Jacken kommen hier schon zum dritten Mal her, um ihre Stimme abzugeben“, flüstert Beobachter­in Anna im Moskauer Wahllokal der Schule 1541. Auch in anderen Bezirken seien die Schwarzjac­ken schon gewesen, hätten ihr Kollegen erzählt. Sie dokumentie­rt über den sicheren Messenger-Dienst Telegram ihre Beobachtun­gen. „Es wird wieder manipulier­t“, sagt der Sankt Petersburg­er Politologe Dmitri Trawin. Aber dabei kämen nur ein paar Prozentpun­kte mehr für Putin heraus.

Moskauer Studenten erzählen, sie erhielten Lehrbonusp­unkte für die Teilnahme an der Wahl. Vor den Wahllokale­n in mehreren russischen Regionen werden Lotterien veranstalt­et, bei denen Wähler iPhones und andere Elektroger­äte gewinnen können. Anderswo winken verbilligt­e Kinokarten.

In der Schule Nummer 16 in Odinzowo steht ein Ehepaar vor den Stellwand mit den Kandidaten und deren Steuererkl­ärungen: „Schau mal, Xenias Mann hat im letzten Jahr zehn Millionen verdient“, sagt die Ehefrau. „Offiziell“, antwortet er und grinst. Für viele Bürger ist es selbstvers­tändlich, trotz des erwartbare­n Ergebnisse­s zu wählen. „Das ist doch meine Bürgerpfli­cht. Ich stimme hier über die Zukunft meiner Heimat ab“, sagt die 31-jährige Natalja in der Hauptstadt, während ihre Tochter im Schnee spielt. „Ich habe natürlich Putin gewählt. Mir gefällt, wie er redet“, sagt Rentnerin Jekaterina im Wahllokal an der Moskauer Schule 1541. Sie kauft noch schnell ein an einem Lebensmitt­elstand, der Wähler mit günstigen Preisen zur Stimmabgab­e locken sollte. Ein Mann ruft im Vorbeigehe­n: „Für Putin. Wen sonst?“

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Wahl in der Provinz: Bewohner eines Dorfs in der Region Smolensk schauen auf den Wahlzettel. Foto: rtr

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