Willi, der Hammer
Wie Innenminister Willibald Böck ein Leinensäckchen mit Geld annahm und am Ende darüber stürzte. Der erste Korruptionsskandal des wiedergegründeten Thüringens begann – und wurde nie ganz aufgeklärt
ein unbekannter Spender aus dem Westen genannt“, sagte Willibald Böck noch lange Zeit später, im Jahr 2013. Von einem Unternehmen oder irgendwelchen Raststätten sei nie die Rede gewesen.
Er habe dann, erzählte er, das Geld in die nahe Geschäftsstelle der Landespartei geschafft. Da die Thüringer CDU damals noch nicht einmal ein eigenes Konto besaß, sei das Geld von einer Mitarbeiterin in den Panzerschrank gelegt worden.
Danach wurde das Geld für das fröhliche Parteileben im wilden Osten ausgegeben. Böck: „Wenn ein Kreisverband ne Veranstaltung machte und die brauchten Geld, gaben wir es. Stattdessen kamen die Quittungen in den Tresor. Und als wir dann unser Konto hatten, haben wir dann den Rest eingezahlt. Das war’s. Das war der ganze Sachverhalt.“
Von wegen. Eineinhalb Jahre später, im Mai 1992, stand die Geschichte im „Spiegel“. Kohlmann behauptete in einer eidesstattlichen Erklärung, dass Böck genau gewusst habe, von wem das Geld stammte. Außerdem seien es, wie gesagt, 45.000 DMark gewesen. Die implizite Unterstellung: Der Innenminister habe einen Teil des Geldes für sich behalten.
Doch das Nachrichtenmagazin lieferte neue Details. So hatte Böck Ende Dezember 1990 – also wenige Wochen nach der Spendenübergabe – eine Rahmenvereinbarung mit der Unternehmensgruppe über die Vergabe von Raststätten-Standorten in Thüringen unterzeichnet.
Als später das Wirtschaftsministerium den Vertrag aufkündigen wollte, intervenierte der Innenminister und unterstützte die hessische Firma in ihrem Protest. Zudem kam es zu mehreren Treffen Böcks mit Vertretern des Unternehmens.
Der Anfangsverdacht der Korruption schien also gegeben. Die Erfurter Staatsanwaltschaft beantragte die Aufhebung der Immunität des Landtagsabgeordneten Böck. Nachdem dies geschah, ermittelte sie gegen ihn wegen Verdachts der Vorteilsannahme – und gegen den Unternehmenschef aus Hessen wegen des Verdachts der Bestechung und Vorteilsgewährung.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die parteiinternen Gegner Willibald Böcks längst formiert. Besonders die jüngeren Kabinettsmitglieder distanzierten sich auch öffentlich. Kultusminister Dieter Althaus, damals gerade einmal 34 Jahre alt, nannte Böcks Verhalten problematisch. Das „Maß des Erträglichen“sei voll. Staatskanzleiministerin Christine Lieberknecht redete öffentlich darüber, dass die Bonner CDU-Spitze unter Helmut Kohl einen Schnitt wolle, sich aber davon überzeugen ließ, „bis zum Parteitag zu warten“, bis zu den dort geplanten Neuwahlen des Vorstandes der Landespartei. Doch Böck überlebte vorerst politisch. Als Hauptgrund dafür galt, dass der erst seit Februar amtierende Ministerpräsident Bernhard Vogel zögerte, den Parteichef zu entmachten. Denn es war ja schließlich vor allem der Innenminister und CDULandeschef gewesen, der Kohl ein halbes Jahr zuvor überzeugte hatte, dass Vogel der Richtige für Thüringen sei. Also befragte der Regierungschef vor dem Parteitag die Kreisvorsitzenden und die Mitglieder des Landesvorstandes, wie er es mit Böck halten solle. Doch sie, sagte Althaus später, hätten nicht gewagt, ihre wahre Meinung zu sagen.
Und so trat der Innenminister ohne Gegenkandidaten nochmals für den Parteivorsitz an – und wurde mit nur 51,3 Prozent wiedergewählt. Dennoch schien Böck vorerst gerettet, da wenige Wochen später die Staatsanwaltschaft mitteilte, dass sie ihre Ermittlungen eingestellt habe. Die belastenden Aussagen von Pfarrer Kohlmann böten keine ausreichende Grundlage für eine Anklage, teilte sie mit. Das „Aussageverhalten“sowie „die zutage getretenen Persönlichkeitsmerkmale“Kohlmanns würden dies verbieten.
Doch politische Machtlogik funktioniert anders. Die Schäden waren zu groß, die Feinde zu zahlreich. Oder wie Willibald Böck schon vor dem Suhler Parteitag gesagt hatte: „Ich weiß, dass ich so angekratzt bin. Ich habe kaum noch eine Chance.“Schließlich, im August 1992, trat er auf Drängen des Ministerpräsidenten als Innenminister zurück. Im Januar 1993 versammelte sich die Thüringer CDU in Jena zu einem Sonderparteitag, um Vogel zum neuen Parteichef zu wählen, im Beisein Helmut Kohls und mit deutlich mehr als 90 Prozent der Stimmen. Böck schimpfte in seiner Abschiedsrede nochmals über die, die immer andere kritisierten, aber selbst nicht besser seien. Dann war seine politische Karriere beendet.
Fünf Jahre später wurde bekannt, dass er sich während seiner Innenministerzeit sein Privathaus im eichsfeldischen Bernterode an die neuesten sicherheitstechnischen und baulichen Standards hatte anpassen lassen. Kostenpunkt: Eine halbe Million D-Mark. Zudem vermietete er die Räume, in denen seine Personenschützer übernachteten, teuer an den Staat.
Bis 2004 blieb Böck im Landtag. Er begann zu malen und eröffnete eine kleine Galerie am Erfurter Fischersand, gleich gegenüber der Wohnung Vogels, in die später Althaus einzog. Auch um Spenden kümmert er sich. Allerdings floss das Geld nun in das Kinderhospiz in Tambach-Dietharz, für das er sich von Anfang an einsetzte und dessen Freundeskreis er vorstand.
Böck konnte alles sein, manchmal sogar gleichzeitig: Polternd und charmant, hinterfotzig und ehrlich, grob und feinsinnig, eigensüchtig und großzügig, austeilend und verletzlich.
Bis zum Schluss blieb Böck dabei, dass er sich nichts zuschulden hatte kommen lassen, zumal die hessische Firmengruppe nie eine Raststätte in Thüringen baute. Bloß eines, sagte er 2013, sei damals „wirklich blöd“gewesen: „Ich sagte, das Geld war in so einem Leinensäckchen drin, so eines, dass man bei Banken für Einzahlungen nimmt. Damit hatte ich mich zum Affen gemacht. Danach kann man sich auf den Kopf stellen: Dann wird’s nichts mehr.“Im Jahr 2016 starb Willibald Böck, genannt der Hammer – wenige Monate vor seinem 70. Geburtstag, daheim, im Eichsfeld. Und egal, welche Meinung man zu dem Mann jemals besaß: So einen Minister wie ihn hatte Thüringen nie wieder.