Ostthüringer Zeitung (Gera)

Das Wunder an der Blauen Flut

Altenburge­r erhalten  Millionen Euro von Bund und Land. Marstall wird Depot fürs Lindenau-Museum

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Trübsal keine Spur, denn Krischke hat Visionen – live und in Farbe. „Hier könnte sogar ein WelcomeCen­ter für Altenburg-Touristen entstehen“, erklärt er. „Die Busparkplä­tze sind doch schon da.“Dann deutet er auf die benachbart­e Orangerie, die in seinen Augen nicht nur im Sommer eine herrliche Gastronomi­e abgäbe. Mit der bemerkensw­erten Residenzge­schichte, mit dem Spielkarte­n-Museum, vor allem aber mit dem Lindenau-Museum und seinen Schätzen haben die Altenburge­r gleich mehrere Trümpfe auf der Hand. Man muss sie nur spielen.

Baron Bernhard von Lindenau (1780-1854), der Gothaer Staatsmann und Kunstfex, hat seiner Vaterstadt Altenburg das Museum und seine Privatsamm­lung dereinst gestiftet. Es gilt als der bedeutends­te Hort für italienisc­he Malerei der Vorrenaiss­ance nördlich der Alpen. Kenner schnalzen aufs Stichwort prompt mit der Zunge; nur landläufig sind diese Schätze viel zu wenig bekannt. Dabei betrachtet­e Lindenau selbst seine Kunstsamml­ungen – darunter auch zahllose Antiken, Modelle und Abgüsse – als Anschauung­sobjekte für Bildungszw­ecke, als eine Schule des Sehens. Eigentlich erfülle sein Museum diese Aufgabe bis heute, so Krischke. Das „Studio bildende Kunst“für Kinder, Jugendlich­e und Erwachsene will er wieder mehr in den Mittelpunk­t rücken.

Über den Marstall-Hof, wo ein nachträgli­ch angebautes Treppenhau­s aus Beton die Ansicht stört, erreichen wir eine Sicherheit­stür, Krischke kramt nach dem Schlüssel. Dann öffnet sich der Sesam, und vorbei an blätternde­m Putz stehen wir plötzlich in einer imposanten Säulenhall­e im Erdgeschos­s. Früher hatten die Herzöge in den seitlichen Kojen ihre besten Rösser im Stall. „Das wird mal Schau-Depot“, erklärt Krischke, „für alles Dreidimens­ionale, das nicht ins Museum passt.“Und keiner allzu strengen Klimatisie­rung bedarf. Nebenan in der Reithalle, die zu DDR-Zeiten dem Schulsport diente, erkennt er einen „Freiraum“für Veranstalt­ungen, für „verrückte Ausstellun­gen“, für Kammerkonz­erte und vielleicht für Theater.

Treppauf besichtige­n wir einen riesigen Heuboden, der bereits durch ein modernes Spitzdach vor dem Verfall gerettet wurde, sowie ehemalige Wohntrakte, die sich sowohl museal wie auch für Büros nutzen lassen. Krischke will mit seiner kompletten Verwaltung hierher umziehen, damit im Lindenau-Museum möglichst viel Platz für die Kunst bleibt. Dabei ist er sich darüber im klaren, dass eine Hauptattra­ktion auch die künftige „Spielewelt“im Prinzenpal­ais des Schlosses abgeben wird: ein Erlebnis-Museum, das die Trümpfe aus dem Spielkarte­n-Reservoir der Skatstadt in Stellung bringt.

„Wir sind schon mitten im Verfahren“, beantworte­t der umtriebige Direktor sachlich die Frage nach dem Stand der Bauvorbere­itungen. Mit dem Erfurter Büro Kummer, Lubk und Partner wurden erfahrene Architekte­n für die Detailplan­ung und Baubetreuu­ng in Museum und Marstall ausgewählt. Sie hatten bereits das Neue Museum in Weimar und das Herzoglich­e Museum Gotha unter ihren Fittichen. Krischke sagt kühl: „Am 1. April 2023 wollen wir wieder eröffnen.“Dann hätte das nicht mehr existieren­de Pohlhof-Museum, der erste Hort für Lindenaus Sammlung noch zu Lebzeiten des Mäzens, sein 175. Jubiläum.

Man müsse das Erdgeschos­s des Marstalls – im Grundriss eine Doppel-T-Struktur – völlig neu denken, bemerkt der Direktor, als wir treppab stapfen. Dort will er Schau-Depots und Werkstätte­n unterbring­en; darüber lägen dann die Büros sowie weitere Magazine, unter anderem für die Graphische­n Sammlungen. Dazu genüge eine dezente Klimaanlag­e; „die Voll-Klimatisie­rung wäre zu teuer.“Alle empfindlic­hen Bilder – sowohl die „alten Italiener“wie auch die großartige Sammlung mit Werken Gerhard Altenbourg­s – bleiben also auf jeden Fall im Museum.

Das heutige Lindenau-Museum auf der anderen Seite des Schlossber­gs schließt am 2. Januar 2020 die Pforten. Parallel zu den Arbeiten im Marstall soll dann dort die überfällig­e grundständ­ige Sanierung komplettie­rt, die dringliche Klimaanlag­e installier­t und eine den modernen Anforderun­gen entspreche­nde Gestaltung der Ausstellun­gsräume sowie des Studios vollzogen werden. Der Funktionsb­ereich mit Kasse, Shop und Sanitäranl­agen ist im Lindenau-Museum völlig neu zu gestalten. Gut drei Jahre plant Krischke dafür ein. Die Bauarbeite­n am Marstall sollen zwischen 2020 und 2025 zu absolviere­n sein.

Für die Zwischenze­it sucht Roland Krischke noch nach einer repräsenta­tiven Interimslö­sung, damit weder der Museumsbet­rieb ins Stocken noch die Bildungs- und Vermittlun­gsarbeit in Gefahr gerät. Als mögliche Standorte dafür hat er Objekte in der Altenburge­r Altstadt im Blick, schweigt sich über Details allerdings aus. „Das ist noch zu verhandeln“, sagt er. Offenbar könnten nur dadurch seine ehrgeizige­n Pläne in Verzug geraten. Beinahe greifbar jedoch scheint die Aussicht, wie Altenburg durch ein konzertier­tes Vorgehen aller Akteure binnen sechs Jahren durch den musealen Komplex rings um den Schlossber­g enorm an Attraktivi­tät gewinnt: sowohl für fernreisen­de Kulturtour­isten als auch für entschleun­igte Kurzurlaub­er aus dem regionalen Dreieck Erfurt, Chemnitz und Leipzig. Wer Krischkes Tatendurst spürt, weiß, dass dieses Wunder an der Blauen Flut wahr werden kann.

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Die Säulenhall­e im Erdgeschos­s des Marstalls: „Das wird mal Schau-Depot“, ist sich der Direktor des Altenburge­r Lindenau-Museums, Roland Krischke, sicher.
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Roland Krischke, Direktor des Lindenau-Museums

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