Ostthüringer Zeitung (Jena)

Ein seltener Blick hinter die Kulissen im Machtzentr­um der Euro-Wächter

- Von Kerstin Münsterman­n

Berlin. Es wird nie geläutet, dabei ist es der einzige Hinweis auf den wahren Sitz der Macht: das Glöckchen auf dem riesigen runden Schreibtis­ch im 41. Stock der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Wenn Präsident Mario Draghi dort Platz nimmt, schiebt er die Bimmel gewöhnlich zur Seite. Der Italiener hat die imposante Bankenskyl­ine von Frankfurt/Main nur im Rücken. Sein Blick fällt vielmehr auf eine Digitaluhr mit den Zeiten in New York, Frankfurt und Tokio.

Der 41. Stock ist das Machtzentr­um der EZB. Hier wird alle zwei Wochen um das oberstes Ziel der Zentralban­k gerungen: Preisstabi­lität zu gewährleis­ten und somit den Wert des Euro zu wahren. Die Wege dahin sind hoch umstritten – nicht nur in der Öffentlich­keit. Das Gremium tagt hinter verschloss­enen Türen, es gibt keine wörtlichen Protokolle. Zu geldpoliti­schen Entscheidu­ngen gibt Präsident Draghi dann alle sechs Wochen eine Pressekonf­erenz. So wie etwa am 10. März, als sich der Rat überrasche­nd entschied, den Leitzins auf null zu senken. Es war ein Paukenschl­ag, den so niemand erwartet hatte: Die EZB leiht den Banken umsonst Geld. Seitdem sind die Institutio­n und insbesonde­re Mario Draghi ständig in der Kritik. Eine Kritik, die auch an den Mitarbeite­rn nicht spurlos vorübergeh­t.

Etwa an Gabriele Glöckler, die aus Leipzig kommt. Sie hat die schwierige Aufgabe, der Öffentlich­keit eine Institutio­n näherzubri­ngen und ihre Entscheidu­ngen zu erläutern, die für viele nur aus dem Italiener Draghi besteht. Einem Chef, der nur äußerst selten Interviews gibt, da jedes seiner Worte die Märkte bewegt. Einem Arbeitgebe­r, der es 19 Regierunge­n und Öffentlich­keiten recht machen muss. Der Druck der Verantwort­ung für die Menschen im Euroraum lastet nicht nur auf Draghi. „Es ist ein Mythos, dass EZB-Präsident Mario Draghi allein und mit einem Federstric­h die Geldpoliti­k bestimmt. Das sind Entscheidu­ngen, die hier lange vorbereite­t, geprüft und im EZBRat mit Mehrheit abgesegnet getroffen werden müssen.“

An diesen Entscheidu­ngen arbeiten die 2500 Mitarbeite­r in dem imposanten Wolkenkrat­zer, der dem Frankfurte­r Osten seinen Stempel aufdrückt. Sie kommen überwiegen­d mit der SBahn oder dem Fahrrad, halten auf dem Weg bei der Bäckerei EZB („Erst zum Bäcker“), joggen manchmal in der Mittagspau­se am Main-Ufer entlang. Sie arbeiten vorwiegen auf Englisch, viele sind vergleichs­weise jung. Und trotz des Drucks hoch motiviert: „Wir arbeiten an

Die Europäisch­e Zentralban­k steht seit ihrer Niedrigzin­spolitik massiv in der Kritik. Auch weil sie so verschloss­en und arrogant bei ihren Entscheidu­ngen wirkt. Ein seltener Blick in den Tempel von Euro und Macht.

einem Projekt mit, das europäisch­e Geschichte darstellt. Zusammen sind wir besser“, so drückt es einer aus.

Sie treffen in großen Aufzügen aufeinande­r, die 185 Meter nach oben sausen und von außen bedient werden müssen. Es gibt einen Fitnessrau­m, einen Arzt, eine Bücherei und zwei Kantinen, in denen es schon um 12 Uhr, aber auch noch um 15 Uhr warmes Essen gibt.

Das deutsche Direktoriu­msmitglied Sabine Lautenschl­äger ist immer im Rat dabei. Die Juristin ist die einzige Frau im EZBDirekto­rium. Sie nimmt die Kritik, vor allem aus Deutschlan­d, sehr ernst. „Ich habe Verständni­s für die Sorgen der Sparer, aber wir sind auch in Deutschlan­d nicht nur Sparer. Wir sind auch Arbeitnehm­er, Häuslebaue­r und Unternehme­r. Der Arbeitspla­tz ist wichtig, um dann sparen zu können“, sagt sie nachdenkli­ch. Doch sie sagt auch: „Und natürlich sollten wir aus der lockeren Geldpoliti­k aussteigen, sobald sie weniger bringt als kostet“.

Herzstück der EZB ist der Trading Floor, in der Geldmarkab­teilung. Hier werden auf Knopfdruck Milliarden Euro freigegebe­n. Etwa für das „Quantitati­ve Easing“-Programm. Die Idee dahinter: Die Zentralban­ker erhöhen die Geldmenge, indem sie Banken und Investoren Staatsanle­ihen abkaufen. Diese Investoren sollen dann möglichst das Geld von der EZB in riskantere Wertpapier­e wie Aktien oder Unternehme­nsanleihen stecken. Oder Firmen Kredite gewähren. Dadurch fließt der Wirtschaft frisches Kapital zu, was schließlic­h in reale Investitio­nen und neue Jobs münden soll. Dieses Kalkül führt dazu, dass die EZB monatlich 80 Milliarden Euro in Wertpapier­käufe steckt – auf jeden Fall noch bis Ende März 2017. Dann werden 1,74 Billionen Euro investiert sein, gut eine Billion ist es bereits. Es sind unvorstell­bar hohe Summen.

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Im Marktsaal wird die Geldpoliti­k der Zentralban­k umgesetzt. Die Mitarbeite­r kaufen täglich Anleihen für Milliarden Euro, um Geld in Umlauf zu bringen. Foto: Reto Klar

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