Wir haben wieder einen Bundespräsidenten und Heimat haben wir auch
Was war denn mit Frank-Walter Steinmeier los? Ein halbes Jahr lang lässt er uns vermuten, das Amt des Bundespräsidenten sei endlich abgeschafft. Und dann sagt der Mann am Dienstag in nur einer Feiertagsrede mehr Gescheites als sein Vorgänger in fünf Amtsjahren. Sachen gibt‘s.
Das ist übrigens derselbe Steinmeier, der im Bundestagswahljahr 2009 für die SPD den Spitzenkandidaten abgab. Ich erinnere mich nur noch deshalb daran, weil ihm die angeheuerten Imageberater und Spindoctors geraten hatten, auf den Walter zu verzichten. Er sollte also im Wahlkampf nicht mehr Frank-Walter heißen. Sondern nur noch Frank Steinmeier. Das sollte wohl volksverbundener wirken.
Geholfen hat es dem Frank freilich nicht. Die SPD holte schon damals nur magere 23 Prozent. Angela Merkel blieb Kanzlerin, verbündete sich in hohem Tempo mit der FDP, und Steinmeier durfte fortan wieder Frank-Walter heißen. Bundespräsident ist er seit dem 19. März.
Als solcher ist er gehalten, sich in die Tagespolitik möglichst nicht einzumischen. Aber wie soll das gehen, am Tag der deutschen Einheit und kurz nach der Bundestagswahl 2017 mit ihrem denkwürdigen Ergebnis? Es gibt den Parteien einige Denksportaufgaben auf. Nicht nur der SPD, die sich spontan für Mist entschieden hat. Das sage nicht ich, das sagte einst der bekannte Sozialdemokrat und Spezialist für kurze deutsche Hauptsätze, Franz Müntefering: Opposition ist Mist! Sicherlich hat auch Georg Maier, unser neuer Thüringer SPD-Innenminister, den Satz noch im Ohr. Er fand es kürzlich nicht optimal, dass sich seine Partei kategorisch einer weiteren Regierungsverantwortung entziehen will. Andererseits kann natürlich von niemandem verlangt werden, so lange mit Angela Merkel zu koalieren, bis er von der Bildfläche völlig verschwunden ist. Da ist guter Rat teuer.
Aber der CDU geht es kaum besser. Vor allem Sachsens Landesvater Stanislaw Tillich ist nach der dramatischen Wahlniederlage gegen die AfD im sächsischen Königreich – Pardon – Freistaat sofort bereit, die Christdemokraten wieder deutlich weiter nach rechts zu bugsieren. Also Mitte-rechts. Und ausgerechnet Mike Mohring, CDU-Landes- und Landtagsfraktionschef in Thüringen, hält dagegen. Er will nur Mitte. Ausgerechnet, weil er vor Jahren den streng Konservativen raushängen ließ und ein ganzes Buch vollschrieb darüber, was konservativ ist. Oder zu sein habe. Die CDU-Familienpolitik unter Dieter Althaus mit Kürzungen für Kindergärten und Bleib-Zuhause-Prämien, die war es auf jeden Fall reichlich. Ich behaupte heute noch, dass sie mit zum Verlust der absoluten CDU-Mehrheit in Thüringen führte. „Ihr kennt das Land nicht“, wirft Mohring heute den rot-rot-grünen Befürwortern von Großgemeinden und Monster-Landkreisen vor. Augenscheinlich zu Recht. Damals schien er es selbst nicht zu kennen.
Aber wer kennt schon die Bürger und ihre Wünsche wirklich? Wer weiß vorher genau, wen sie wählen werden und vor allem: warum. Hätte etwa Frank-Walter ahnen können, wie viele Heimatlose da im Osten Deutschlands herumhängen? Er sprach in seiner Einheitsfeier-Rede auffallend viel von Heimat, der tatsächlichen, der gefühlten und von den Verlustängsten drumherum. Es hörte sich nach einem Wir-haben-verstanden an. Doch so ein Bundespräsident kann nicht organisieren, dass tatsächlich alle verstanden haben, die es angeht. Er kann nicht mal organisieren, dass es bis Weihnachten überhaupt eine neue Regierung gibt.
Die Briten, die momentan auch ein bisschen politisch derangiert sind, hätten längst Wetten darauf gesetzt. Oder dagegen, je nach Temperament. Bei uns will keiner wetten. Es gehört nicht zur Kultur, zur Heimat, der geliebten. Angeblich geht dem Thüringer seine Heimat über alles. Aber es wäre wohl ein Fehler zu glauben, damit sei die staatliche Konstruktion gemeint, die sich Thüringen und auch gern Freistaat nennt. Gemeint ist damit nicht mal der Landstrich Thüringen, denn der ist fast so unterschiedlich, wie die deutschen Länder unterschiedlich sind. Heimat beschreibt in aller Regel den Ort, an dem zu Hause ist. Das ist nicht viel, aber auch nicht wenig. Wenn die aktuelle Landesregierung das immer noch unterschätzt, wird sie die Fliehkräfte, die dem Gebilde Thüringen innewohnen, mit ihrer Gebietsreform erneut heraufbeschwören. Das mag sich albern anhören, aber es ist das Leben.
Die Eichsfelder würden nicht an Herzdrücken sterben, wenn sie Thüringen Richtung Westen verließen. Die Franken im Thüringer Wald wären sowieso lieber bayerische Franken, und die Vogtländer im Osten setzen, wenn man sie nötigen will, ihre eigenen Prioritäten. Selbst ein kleines Ländchen wie Thüringen ließe sich noch separieren. Katalonien, du bist nicht allein.