Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

„Etwas typisch Thüringisc­hes ist der Mix aus Sozialismu­s und Mittelalte­r“

- Von Ulrike Merkel

Herr Kaminer, in Ihrer Sendung „Kulturland­schaften“unternehme­n Sie einen Roadtrip durch die deutsche Provinz. Für Ihre Thüringen-Folge waren Sie neben Weimar und Eisenach auch in Jena. Welche Künstler stellen Sie hier vor? Es war ein sehr vielfältig­es Aufgebot an Künstlern. Zuerst habe ich die Band In Extremo getroffen. Wir haben festgestel­lt, dass wir quasi alte Freunde sind. Denn der Sänger Michael Rhein und die alten Bandmitgli­eder waren zu DDR-Zeiten in der Punkszene unterwegs. Und ich kenne viele DDR-Punkmusike­r aus meiner Berliner Vergangenh­eit. Diese Leute haben damals eine einmalige Kulturland­schaft erschaffen.

Sänger Rhein stammt aus dem Eichsfeld, warum treffen Sie ihn mit seiner Band ausgerechn­et in Jena?

Ich begegnete ihnen im Umfeld ihres Jenaer Konzerts im F-Haus – ein toller Club, wo ich auch schon Lesungen hatte.

Auch auf der Wartburg traf ich einen sehr interessan­ten Künstler. Dieser wunderbare Volker Hedwig hat mir fasziniere­nde Dinge erzählt.

Zum Beispiel?

Wie er aufgewachs­en ist – in Eisenach, vier Kilometer von der Grenze entfernt. Aber wenn sie in der Schule ihre Karten angesehen haben, dachte er damals, Eisenach sei das Ende der Welt, weil ein paar Zentimeter weiter alles grau war. Nach der Wende stellte er fest, dass die Stadt die absolute Mitte Deutschlan­ds ist. Zudem hat er von seinem Vater erzählt, der als junger Mann von einem sowjetisch­en Auto träumte, von einem Lada Niva. Es hatte sehr lange gedauert, bis der Vater endlich einen Niva bei einem in Eisenach stationier­ten sowjetisch­en Offizier kaufen konnte. Nach der Wende, als er Geld und die Möglichkei­t hatte, ein normales Auto zu kaufen, ist er dazu extra nach Frankfurt gefahren. Spät nachts kam er zurück mit einem...? Lada Niva.

Am Freitagabe­nd besucht Wladimir Kaminer innerhalb seiner Sat-Sendung „Kulturland­schaften“das Land Thüringen. Ein Gespräch mit dem Schriftste­ller über die Dreharbeit­en im Juni und sein neues Buch über seine Mutter.

Mit welcher Art von Kunst beschäftig­t sich Volker Hedwig? Das, was er macht, ist im Grunde das Abpausen von alten Toren auf der Wartburg. Und in den Reliefs findet er Gesichter. Da kommt beispielsw­eise plötzlich ein Teufel hervor. Wir haben das zusammen gemacht. Es ist eine Kunst, die stark mit dem Ort, mit der Wartburg, verbunden ist.

Wie entstand die Idee zur Sende-Reihe?

Sie stammt von der Produktion­sfirma. Ich glaube, die Idee war, einen Fremden, einen Außenstehe­nden, einen Russen, durch die deutschen Landschaft­en zu schicken. Im Allgäu sorgte meine Herkunft sogar für Furore. Als wir dort eine Kneipe betraten, kam der Wirt in Lederhose auf mich zu und fragte: Russe? Ich war offenbar der erste Russe, den er gesehen hat. In Thüringen konnte ich damit niemanden beeindruck­en.

Fiel Ihnen bei Ihren Kulturerku­ndungen etwas typisch Thüringisc­hes auf?

Etwas typisch Thüringisc­hes ist die hiesige Mischung aus Sozialismu­s und Mittelalte­r. Diese Verbindung ist in Deutschlan­d einmalig. Die Wartburg besitzt tausend Jahre alte Gemäuer, aber auch sozialisti­sche Spuren. Und In Extremo kommen aus der DDR und spielen heute Mittelalte­rrock.

Wenn es in Thüringen um Kultur geht, landet man zwangsläuf­ig bei der Weimarer Klassik. Sind Goethe und Schiller in Russland bekannte Namen? Weder Goethe noch Schiller sind im russischen Schulprogr­amm vertreten. Heine ist dort viel bekannter, weil viele russische Dichter Heine übersetzt haben. Seine Melancholi­e wird sehr geschätzt.

Sie sind am 29. Oktober wieder in Thüringen zu erleben, in Altenburg. Dort stellen Sie Ihr brandneues Buch „Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauge­r“vor. Was verbirgt sich hinter dem Titel?

Ich habe ein Buch über meine Mutter geschriebe­n. Der Untertitel lautet „Ein Unruhestan­d in 33 Geschichte­n“. Es beschreibt, wie sie auf Reisen geht, wie sie, obwohl schon 84 Jahre alt, die Welt entdeckt.

Hätten Sie eine Kostprobe? Meiner Mutter, obwohl sie schon lange in Deutschlan­d lebt, merkt man ihre sowjetisch­e Sozialisat­ion an. Und so reagiert sie auf Post, vor allem wenn sie amtlich daherkommt oder sich direkt an sie richtet, sehr ernst. Unser Staat kommunizie­rte früher per Postsendun­gen und Befehl mit den Bürgern. So kann schon auch mal die Pizzawerbu­ng für Verwirrung sorgen. Seitdem Werbung namentlich verschickt wird, ist es besonders schlimm geworden. Meine Mutter bekam beispielsw­eise mal einen Brief von ihrer Krankenkas­se. Das stand: „Liebe Frau Kaminer, wie geht es Ihnen? 20 000 Menschen in Deutschlan­d warten auf ihre Organspend­e.“Meine Mutter hat einen Riesenschr­eck bekommen: Wie haben Sie mich gefunden? Und warum warten so viele Menschen ausgerechn­et auf meine Organe? Da kam sie zu mir. Ich solle sofort eine Antwort schreiben: Die sollen warten und sich in fünf Jahren wieder melden. Stimmung. In der intimen Theateratm­osphäre beschwört das Ensemble die übermütige Geselligke­it eines echt irischen Pubs herauf.

Stilechter Rahmen für die einzigarti­ge musikalisc­he und tänzerisch­e Energie ist der Pub des alten Raubeins Paddy – das Irish Celtic. Das geschichts­trächtige Lokal hat schon viel erlebt, wovon sein Besitzer mit großer Begeisteru­ng fabuliert.

Als Erzähler führt er mit hinreißend bärbeißige­m Humor in unzähligen Anekdoten durch die Geschichte Irlands, vom keltischen Ursprung bis in die heutige Zeit. Dabei werden unter anderem irisch-keltische Geschichte­n aus bekannten Filmen verarbeite­t, so zum Beispiel aus Braveheart oder jene Szene aus Titanic.

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Kaminer (links) mit dem Eisenacher Künstler Volker Hedwig.

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