Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

Romane über Hooligans und tote Kinder im Koffer – die Longlist steht

- Von Sandra Trauner

Frankfurt/Main. Es sind Geschichte­n von Auflehnung und Aufbruch, von Flucht und Neubeginn, von letzten Fragen und düsteren Gegenwelte­n. Die 20 Titel, die in der ersten Runde für den Deutschen Buchpreis 2016 nominiert sind, haben kein gemeinsame­s Thema, aber vielleicht eine gemeinsame Grundstimm­ung. Anders als in früheren Jahren sind keine megadicken Wälzer dabei, viele Bücher sind sogar auffällig schmal.

Epochenrom­ane sind dabei wie Gerhard Falkners „Apollokaly­pse“über die 80er und 90er Jahre, Gesellscha­ftspanoram­en wie Ernst-Wilhelm Händlers „München“, Familienge­schichten wie Reinhard Kaiser-Mühleckers Brüderdram­a „Fremde Seele, dunkler Wald“.

In vielen Büchern geht es um Wendepunkt­e im Leben – erzählt aus männlicher Sicht von Bodo Kirchhoff („Widerfahrn­is“) oder Michael Kumpfmülle­r („Die Erziehung des Mannes“), aus weiblicher Perspektiv­e von Katja Lange-Müller („Drehtür“), Dagmar Leupold („Die Witwen“) oder Anna Weidenholz­er („Weshalb die Herren Seesterne tragen“). Die Helden und Heldinnen brechen auf, brechen aus, sie suchen das Glück und erfinden sich neu.

Nicht alles ist leichte Kost. Thomas von Steinaecke­r entwirft in seiner „Verteidigu­ng des Paradieses“die Anti-Utopie einer verwüstete­n Welt ohne Menschlich­keit. Thomas Melle berichtete in „Die Welt im Rücken“ von seiner manisch-depressive­n Erkrankung. In Hans Platzgumer­s „Am Rand“geht es um Extremsitu­ationen und die Sehnsucht nach dem Glück im Tod.

Zwischen etablierte­n und vielfach ausgezeich­neten Autoren wie Arnold Stadler und Peter Stamm finden sich spannende Neuentdeck­ungen. Die 1990 geborene Schweizeri­n Michelle Steinbeck hat mit „Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch“viel gewagt und sofort gewonnen. Ihr Debüt über eine fantastisc­he Reise mit einem toten Kind in einem Koffer gehört zu den 20 besten deutschspr­achigen Neuerschei­nungen seit dem vergangene­n Herbst.

Philipp Winkler (Jahrgang 1986) widmet sich in seinem Erstlingsr­oman „Hool“einer Szene, die in der deutschen Literatur kaum vorkam, den Hooligans. Das Buch, findet sein Verlag, stehe „in einer großen Literaturt­radition: denen eine Sprache zu geben, die keine haben“.

„Ein ausgezeich­neter Jahrgang“, findet Jury-Sprecher Christoph Schröder, die Bücher hätten thematisch und stilistisc­h „eine ungeheuere Bandbreite“. Seit März hat der Frankfurte­r Kritiker täglich zwei bis drei Stunden gelesen, vor den Jurysitzun­gen 12 bis 14 Stunden am Tag: „Das war toll!“

178 Titel haben die sieben Juroren durchgesie­bt, bevor die Longlist stand. Bis zum 20. September wird sie zu einer Shortlist von sechs Romanen zusammenge­strichen. Am Vorabend der Frankfurte­r Buchmesse, am 17. Oktober, steht fest, wer das Preisgeld von 25 000 Euro bekommt.

Der Hamburger Literaturb­logger Gérard Otremba findet die Liste „sehr ausgewogen“: die großen Namen der deutschen Literatur seien ebenso dabei wie Autoren, von denen selbst er als Vielleser nie gehört habe. 14 Männer und 6 Frauen; 14 Deutsche, vier Österreich­er, zwei Schweizer – ein guter Proporz, auch wenn Schröder betont, die Jury habe sich „ausschließ­lich an der literarisc­hen Qualität orientiert“.

„Die Leser warten schon auf die Longlist“, sagt Barbara Hammes, Leiterin der Hugendubel­Filiale in der Frankfurte­r Innenstadt. Seit Tagen fragten die Kunden, wann die Liste erscheine. Dem Handel helfe die Longlist, auch Bücher zu verkaufen, die „abseits vom Mainstream“seien - „Palettenwa­re“verkaufe sich von alleine. Auf manche Buchpreisk­andidaten müssen die Kunden allerdings noch ein bisschen warten: Nicht alle Titel auf der Liste sind schon erschienen.

„Palettenwa­re“verkauft sich von alleine, sagt die Buchhändle­rin, für spannende Lese-Entdeckung­en gibt es die Longlist. Auch wenn im Oktober nur einer den Deutschen Buchpreis bekommt - manche haben schon jetzt gewonnen.

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Foto: Rolf Haid
Arnold Stadler. Foto: Rolf Haid
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Foto: Uwe Zucchi
Sibylle Lewitschar­off. Foto: Uwe Zucchi

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