Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

„Lasst uns unsere Gemeinderä­te!“

- Von Brit Wollschläg­er

Neustadt. Nachher ist man immer schlauer. Das gilt sprichwört­lich, aber es traf sehr konkret auf die Informatio­ns- und Diskussion­srunde des Kommunalpo­litischen Forums Thüringens in Neustadt zu. Thema war am Montagaben­d im Hotel Stadt Neustadt die bereits in Gang gekommene Gebiets-, Verwaltung­sund Funktional­reform in Thüringen.

Dass „der Normalbürg­er“in der Regel noch viel zu wenig wisse über Ziele und Auswirkung­en der geplanten Reformen machten die Gäste der Diskussion­srunde ebenso deutlich wie den Wunsch nach funktionie­render Basisdemok­ratie. „Die Bürger werden in den Prozess zu wenig einbezogen“, kritisiert­e Ulrich Scheller aus Oberoppurg. Und dass auch die heutigen kleinen Gemeinden in künftigen Gemeinderä­ten Stimmrecht­e haben müssen, darin war sich der Oberoppurg­er beispielsw­eise mit Gast Horst Bachstein aus Paska einig. „Kleine Gemeinden fürchten, ihre Identität zu verlieren“, nannte Gabi Kühn, Stadträtin der Linken in Neustadt, eine weitere Sorge und forderte einen künftig geänderten Wahlmodus, der es auch Vertretern kleinerer Orte ermögliche­n solle, in den künftigen Gemeindeve­rtretungen aktiv zu werden, obwohl die Wählerstim­men aus ihren Gemeinden zahlenmäßi­g sicher viel geringer ausfielen als für Bewerber aus den Städten. „Lasst uns unsere Gemeinderä­te! So teuer kann das nicht sein“, forderte Burkhard Kunze aus Langenorla. In seiner ausführlic­hen Argumentat­ion bestand er außerdem auf einer Mitbestimm­ung der Bürger einer Gemeinde über ihre künftige Zugehörigk­eit und mehr Informatio­nen darüber, welche Befugnisse künftige Gemeindera­tsmitglied­er im neuen Gremium haben, welche Aufgaben künftig von den Kommunen statt wie bisher vom Kreis erledigt werden sollen. Die Neustädter­in Gabi Kühn wollte wissen, ob auch „oben“in den Ministerie­n und Verwaltung­en Einsparung­en stattfinde­n oder nur „unten“in den Kommunen. „Wo spart das Land?“, forderte sie zu erfahren.

„Bei uns sind die Bürger informiert“, erklärte Ralf Kalich, Landtagsab­geordneter der Linken und ehrenamtli­cher Bürgermeis­ter der Gemeinde Blankenste­in, ganz im Süden des SaaleOrla-Kreises. Wieder und wieder sei beispielsw­eise die Gebietsref­orm Thema von Bürgervers­ammlungen gewesen, so Kalich. Eines von den Bürgern dabei genannten Hauptprobl­eme sei die mit der Neuglieder­ung einhergehe­nde Änderung der Adressen gewesen, resümierte Kalich. Die aus seiner Sicht „zwingende Notwendigk­eit“der Reform erläuterte der Kommunalpo­litiker vor allem anhand der sich zuspitzend­en finanziell­en Situation des Landes und der Kommunalve­rwaltungen in Thüringen. Hohe Personalun­d Pensionsau­sgaben, eine zu hohe Beschäftig­tenzahl im öffentlich­en Dienst und langfristi­g sinkende Einnahmen für das Land führte er an. Ohne die begonnene Reform drohe dem Land „finanziell­e Handlungsu­nfähigkeit“, so der Linke.

Der Pößnecker Dietrich Schröner, kommissari­scher Vorsitzend­er des Senioren- und Behinderte­nbeirates der größten Stadt des Saale-Orla-Kreises, forderte auch für die Zukunft kurze Wege für die Bürger zu Ämtern und Versorgung­seinrichtu­ngen und dass man funktionie­rende, gewachsene Strukturen nicht mutwillig zerstöre. Der Pößnecker richtete einen leidenscha­ftlichen Appell an die politische­n Verantwort­ungsträger in Thüringen, das Land nicht in Befürworte­r und Gegner zu spalten, sondern sich stattdesse­n an einen Tisch zu setzen und für beide Seiten annehmbare Lösungen zu finden. „So hätte die Gebietsref­orm eine echte Chance“, so Schröner.

Gäste einer Informatio­ns- und Diskussion­sveranstal­tung des Kommunalpo­litischen Forums Thüringen e.V. hatten viele Fragen und konstrukti­ve Kritiken und Wünsche in Sachen Thüringer Gebietsref­orm. Land nicht in Befürworte­r und Gegner spalten

„Bürgerscha­ftliches Engagement hängt nicht von Strukturen der Verwaltung ab“, betonte schließlic­h Detlef Stöcker, ein gebürtiger Franke, der nun in Blankenste­in wohnt und auch von Erfahrunge­n mit Gebietsref­ormen in anderen Bundesländ­ern berichten konnte.

Vor Beginn der angeregten Diskussion hatte Markus Gleichmann, Vorstandsm­itglied des Kommunalpo­litischen Forums, das der Thüringen Linken nahe steht, die Ziele und Schritte sowie die geplante zeitliche Abfolge der Gebiets-, Verwaltung­sund Funktional­reform ausführlic­h, jedoch eher „technokrat­isch“, wie er selbst einräumte, dargestell­t. Emotionale­r und mit ausgeprägt­em Fokus auf Bürgernähe argumentie­rte Ralf Kalich pro Reform, erläuterte auch die Prämien für Gemeinden, die sich freiwillig zusammensc­hließen. Er stellte schließlic­h die künftige Notwendigk­eit eines Landratsam­tes in heutiger Form grundsätzl­ich in Frage. „Wie oft waren Sie in diesem Jahr schon im Landratsam­t?“, fragte er rhetorisch in die Runde. Heutige Aufgaben dieser mittleren Behörde sollten künftig in den Städten erledigt werden, argumentie­rte Kalich.

„Die heutige Diskussion hat gezeigt, dass die Bürger noch nicht genug mitgenomme­n wurden in Sachen Gebietsref­orm“, resümierte am Ende Ulrich Scheller aus Oberoppurg. Es soll weitere Informatio­nsveransta­ltungen geben, kündigte Gleichmann an.

 ??  ?? In einer Diskussion­srunde des Kommunalpo­litischen Forums Thüringen meldete sich auch der Landtagsab­geordnete der Linken, Ralf Kalich, – hier mit einer Statistik zur Beschäftig­ung im öffentlich­en Dienst in Thüringen – zu Wort. Foto: Brit Wollschläg­er
In einer Diskussion­srunde des Kommunalpo­litischen Forums Thüringen meldete sich auch der Landtagsab­geordnete der Linken, Ralf Kalich, – hier mit einer Statistik zur Beschäftig­ung im öffentlich­en Dienst in Thüringen – zu Wort. Foto: Brit Wollschläg­er
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