Ostthüringer Zeitung (Pößneck)
Alle spür’n das Wunder
Nationaltheater und Stellwerk-Theater gelingt mit jungen Menschen in „Frühlings Erwachen“eine Musicalsensation im E-Werk
Jugendtheaterereignis, das auf vollständige Verständigung abhebt: im Ensemble mit 50 Leuten von 14 bis 27 Jahren (darunter fünf Iraner) ebenso wie mit dem Publikum. Sie senden auf allen Kanälen.
Das findet statt unterm Stichwort der Inklusion und vereint Menschen mit unterschiedlichen kulturellen wie auch künstlerischen, sozialen und körperlichen Voraussetzungen. Was sie formal verbindet: Neben einem hörbar wirksamen Gesangstraining übten sie Gebärdensprache ein. Dieser Gestenapparat ist spielerisch und choreografisch eindrucksvoll in den Abend integriert worden.
Was alle inhaltlich bzw. emotional verbindet, ist die Erfahrung, wenn gleichsam der eigene Körper und mit ihm eine ganze Gefühlswelt zu explodieren beginnt. Der Abend beschreibt den abenteuerlichen und angstbesetzten Eintritt in die Welt feuchter Träume. So inszenierten ihn Otto A. Thoß (Nationaltheater) und Steffi Heiner (Theater Stellwerk): im und am Schwimmbecken, das Philip Rubner einem verfallenden Berliner Stadtbad nachempfand. Das mag auf den in Teilen veraltet scheinenden Stoff verweisen. Als ausgetrocknetes Feuchtgebiet steht’s womöglich aber auch für das Umfeld, von dem Jugendliche, im Saft stehend, auf dem Trockenen sitzen gelassen werden.
Vor uns, neben uns, unter uns singt und spielt das Ensemble vom Zauber und der Pein der Pubertät, von Konflikten mit sich selbst und Erwachsenen. Es geht um Selbstbefriedigung (David Bong als Hänschen), homoerotische Erfahrung (Jendrik Rabe als Ernst), Kindesmissbrauch (Katja Brautzsch als Martha) und Selbstmord (Martin Schäfer als Moritz).
Zu sagen, dass die Studenten Sophie Charlotte Schröder und Christoph Kurzweil als Wendla und Melchior gesanglich und spielerisch die Stars des Abends sind, wäre ebenso richtig wie ungerecht. Denn zugleich ist dieses große Ensemble der Star, da es so pur, so direkt, so ehrlich, so stark und berührend auftritt, zum Glück nicht auf Perfektion, aber auf hohe Professionalität bedacht.
Das Musical endet auf dem Friedhof, aber dem Leben zugewandt: „Alle spür’n das Wunder“, heißt es im Finale. Das gilt für dieses wahnsinnig aufwendige Projekt, mit stehenden Ovationen bedacht, ebenso. Intendant Hasko Weber verneigte sich am Ende in Wort und Tat davor. Dem Beispiel muss man einfach folgen.