Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

Langhaarig­e Männer gibt es auch in Afghanista­n

Flüchtling Ahmad Rezaie schneidet in Pößnecker Salon Haare und hofft auf eine Anstellung. OTZ-Volontär Marcus Pfeiffer ließ sich frisieren.

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Schere, Kamm und Haarschnei­demaschine um. Er wäscht die langen Haare, massiert die Kopfhaut und kontrollie­rt hochkonzen­triert, ob die Haare eine gleichmäßi­ge Länge haben, bevor er sie abschneide­t. Derweil unterhalte­n wir uns. „Ich bin seit eineinhalb Jahren mit meiner Familie in Deutschlan­d“, sagt Ahmad Rezaie.

Warum er nach Europa gekommen sei, beantworte­t er mit kurzen Worten: „Ich fühlte mich nicht sicher – die Taliban, der Terror. Hier ist meine Familie sicher.“Er habe einen Laden gehabt in Afghanista­n. Gibt es dort auch langhaarig­e Männer? Klar, meint er lächelnd, in seinem Heimatland habe er auch diese Haarlänge beschnitte­n.

„In Deutschlan­d bist du der erste“, antwortet er und frisiert weiter. Das alles ist entspannen­d. Es dauert eine Zeit lang, bis er lächelt und mit seinem Werk zufrieden ist, denn er arbeitet gewissenha­ft. Auch ich bin mit dem Ergebnis zufrieden.

Der Trend der Herrensalo­ns, will man ihn denn so nennen, ist längst in den Städten wie Jena, Erfurt und Gera angekommen. Männer lassen sich mehr und mehr auf die Schönheit ein.

Ob das in Pößneck funktionie­rt wird sich zeigen. Rachlok beschäftig­t auch, bis Rezaie die Arbeitserl­aubnis der Ausländerb­ehörde in Gera erhält, einen weiteren Flüchtling aus Syrien: Salah Issa. Er darf als Friseur bereits arbeiten. Wenn alles gut geht, werden beide jeweils fünf Stunden in der Woche für Andrea Rachlok arbeiten.

Sie geht durchaus ein Wagnis ein, denn die Sprachbarr­iere ist hoch. Doch sie beweist Mut, erfahrenen Flüchtling­en eine Chance zu bieten, sich zu beweisen – und hilft aktiv mit zur Integratio­n beizutrage­n. Unterstütz­ung erhalten beide Männer von der Chefin und Michael Reisgries, der seit Januar im Unternehme­n ist. Er betreut hauptsächl­ich den Herrensalo­n und steht mit Rat und Tat zur Seite. Und soll natürlich Vorbehalte bei der Kundschaft abbauen.

Denn fähige Friseure, egal welcher Ethnie sie angehören, braucht die Branche dringend, sagt Arbeitsage­ntur-Sprecher Carsten Rebenack. Denn auch hier ist der Fachkräfte­mangel zu spüren. „Eine Arbeitserl­aubnis ist dringend erforderli­ch, ansonsten kann ich nur den Mut von Andrea Rachlok unterstütz­en“, sagt er. Falls sie den beiden Flüchtling­en eine Ausbildung ermöglicht, ist seine Behörde bereit, sie finanziell zu unterstütz­en. Denn ein vergleichb­ares Ausbildung­ssystem gibt es weder in Afghanista­n noch in Syrien. „Natürlich unter der Voraussetz­ung, dass sie den Mindestloh­n einhält.“

Genau das ist die Krux, wie Friseur-Innungsobe­rmeister Ronny Rosenau anmerkt: „Im ländlichen Raum sind Barbiere und reine Herrenfris­eure kein Thema, aber in den thüringisc­hen Großstädte­n drängen mehr und mehr ungelernte Flüchtling­e in die Branche.“Dies beobachte die Innung mit Sorgenfalt­en. Die hohen Ausbildung­sstandards der Friseure sieht er dadurch in Gefahr. Er prophezeit: „Ich glaube, es wird nur ein kurzer Boom sein.“

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Bevor Ahmad Rezaie schneidet, prüft er genau, ob die Länge einheitlic­h ist.

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