Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

Jede Menge Hobbits, viele Hooligans und ganz ganz wenige Vulkanier

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Es sind sage und schreibe fünf verschiede­ne Anträge, mit denen die Thüringer Landtagsab­geordneten kurz vor ihrer Sommerpaus­e die Demokratie verbessern wollen. Irgendwie.

Warum nicht, ließe sich dazu sagen. Die Demokratie ist zwar die angenehmst­e und wohl auch die gerechtest­e aller Regierungs­formen. Aber noch ein bisschen verbessern kann man alles. Weniger optimistis­ch ließe sich aus dem Reformeife­r jedoch auch schlussfol­gern: Die Gewählten haben bemerkt, dass etwas mit der Demokratie nicht stimmt. Aber was? Die Wähler sind unzufriede­n, mürrisch, zum Teil desinteres­siert oder mutieren zu Wutbürgern.

Dabei hatten sich das die antiken Griechen so schlau ausgedacht mit der Demokratie. Das Volk wählt aus seiner Mitte die besten, die klügsten, die ehrlichste­n und engagierte­sten Bürger aus und schickt sie ins Parlament, auf dass sie dort lauter kluge und gerechte Gesetze beschließe­n. Im Gegenzug verspricht das Volk, sich an diese Gesetze zu halten. Auch wenn sie einer Minderheit mal nicht gefallen sollten.

Im Großen und Ganzen hat das dort, wo die Demokratie eingeführt oder mühsam erkämpft wurde, auch ganz prima funktionie­rt. Jedenfalls besser als die Herrschaft von irgendwelc­hen Erbmonarch­en, mit deren Regierungs­kompetenz das Volk schnell mal richtig Pech haben konnte. Von Diktaturen ganz zu schweigen. Aber das erklärt noch nicht die Unzufriede­nheit mit der Demokratie, wie wir sie heute kennen.

Ein Bürger schritt neulich zum Thüringent­ag in Apolda energisch auf Mike Mohring zu, der da zu Hause ist, und stellte ihm nur eine Frage. Ohne sich vorzustell­en, aber mit den einleitend­en Sätzen: „Herr Mohring, Sie scheinen mir ja ein kluger Kopf zu sein. Sie können sich gut ausdrücken. Ich hab‘ mir den Zirkus im Erfurter Landtag jetzt zwei Mal angeguckt und eines nicht begriffen. Wieso, Herr Mohring, werden Anträge zum Beispiel von der AfD in Bausch und Bogen abgelehnt, ohne sie vorher sachlich zu diskutiere­n? Wieso hören die meisten Abgeordnet­en gar nicht zu, wenn ein Antrag von der Opposition kommt?“

Der Angesproch­ene hätte sagen können: Das frage ich mich auch manchmal. Denn als Chef der CDULandtag­sfraktion muss er selber zuschauen, wie andere regieren. Anderersei­ts: Seine Partei ist in 24 Thüringer Regierungs­jahren nicht anders mit der Minderheit im Parlament umgegangen. Also antwortete er dem fragenden Bürger nur: „Das Problem ist, dass man als Opposition keine Mehrheit hat.“

Nein, das ist nicht das Problem der Demokratie. Der amerikanis­che Philosoph und Staatswiss­enschaftle­r Jason Brennan hat es an anderer Stelle verortet. In seinem Buch GegenDemok­ratie (Ullstein Verlag) entwickelt und verteidigt er die These, dass schlechte, weil inkompeten­te Regierunge­n in Demokratie­n ihre Ursache in inkompeten­ten Wählern haben. Was hierzuland­e niemand sagen würde. Wählersche­lte gilt als tödlich, nicht nur für Politiker.

Brennans Buch mit dem Untertitel „Warum wir die Politik nicht den Unvernünft­igen überlassen dürfen“wird in Fachkreise­n gerade heftig diskutiert. Einerseits, weil der Amerikaner die Demokratie wenigstens mal versuchswe­ise durch eine „Herrschaft der Wissenden“ersetzen möchte. Was grob zusammenge­fasst heißt: Das Wahlrecht sollte nur erhalten, wer nachweisen kann, dass er vom politische­n System und seinen Institutio­nen halbwegs Ahnung hat. Die meisten Wähler und Nichtwähle­r, sagt Brennan, hätten die nämlich nicht.

Er teilt die Bürger, die in der Demokratie anzutreffe­n sind, in drei Typen ein. Zunächst seien da die Hobbits. Die hätten kaum politische Kenntnisse, interessie­ren sich auch nicht für Politik und würden, entzöge man ihnen das Wahlrecht, womöglich nicht einmal etwas vermissen. Dann kommen die Hooligans, die fanatische­n Sportfans der Politik. Sie seien interessie­rt und nehmen Informatio­nen auf. Aber nur solche, die zu ihrer vorgefasst­en politische­n Ansicht passen. Andere Meinungen werden ignoriert oder bekämpft. Erst der dritte Typ, der Vulkanier, denkt leidenscha­ftslos, wissenscha­ftlich und rational. Er hält Menschen mit anderer Meinung weder für Teufel noch für dämlich, und ein gut begründete­r Standpunkt veranlasst den Vulkanier, seinen eigenen zu überdenken. Eine Kunstfigur. Ich kenne jedenfalls keinen.

Natürlich sind die Grenzen zwischen Brennans Typen unscharf und fließend. Aber im Grunde bleibt festzuhalt­en, dass im Landtag, wie in allen Parlamente­n, nahezu ausschließ­lich Hooligans sitzen. Gewählt von Hooligans und ein paar Hobbits, die auch eine Münze hätten werfen können. Übrigens: Brennans Buch ist vor der Wahl von Donald Trump erschienen.

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