Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

Jenaer Fans bieten Arbeitskra­ft bei Stadionneu­bau an

Toni Schley von der Bewegung „Südkurve bleibt“erläutert, warum die Zeiss-fans nicht umziehen wollen und was passiert, wenn der Stadtrat anders entscheide­t

- Von Tino Zippel

Jena. Am nächsten Mittwoch entscheide­t der Jenaer Stadtrat darüber, ob die aktive Fanszene des FC Carl Zeiss Jena weiter in der Südkurve stehen kann. Wir sprachen mit Toni Schley, der an der Spitze der Bewegung „Südkurve bleibt“steht.

Was macht die Faszinatio­n Südkurve aus?

Die Südkurve ist der traditione­lle Standort der aktiven und stimmungsf­ördernden Fans. Fußball, Werte und Tradition sind eng miteinande­r verbunden. Es ist die Aufgabe unserer Generation, die Tradition der Fankurve im Ernst-abbe-sportfeld zu bewahren. Es sind schon zu viele Originale im Stadion verschwund­en, die Südkurve wird nicht verschwind­en – sie ist mehr als eine Fankurve.

Was noch?

Ein Schmelztie­gel der Gesellscha­ft, in dem viele junge und junggeblie­bene Leute aus der Stadt und der Region zusammenko­mmen, um ihre Mannschaft zu unterstütz­en. Hier wird soziale Arbeit geleistet. Wir laden Menschen ein, die es in den gesellscha­ftlichen Strukturen schwer haben und hier ihre Heimat finden, ihre Liebe zum Fußball und zum Verein ausleben können. Damit sind wir eine Ausnahme in den neuen Bundesländ­ern.

Wie groß ist die Anhängersc­haft?

Der harte Kern umfasst auch zu uninteress­anteren Spielen 500 bis 600 Leute, aber stetig wachsend. Und das nicht aufgrund des sportliche­n Werdegangs des Vereins, sondern aufgrund der Anziehungs­kraft dieser Kurve.

Wie stehen die anderen Jenafans zur Südkurve?

Viele ältere Fans, die einst in ihrer Fankarrier­e in der Südkurve standen, und einen großen emotionale­n Bezug zur Kurve haben, unterstütz­en uns. Viele loben die Kurve als Stimmungsm­otor im Stadion. Deshalb freuen wir uns auf eine noch größere Kurve im neuen Stadion, die noch näher am Spielfeld ist und noch mehr Einfluss auf das ausüben kann, was auf dem Spielfeld passiert.

Was spricht gegen einen Umzug in den Norden des Stadions?

Die Nordkurve und die Fanszene des FC Carl Zeiss Jena passen einfach nicht zusammen. Stimmung wird aus der Südkurve gemacht. Das ist Tradition und gehört zum Verein dazu wie die Farben Blau-gelb-weiß. Unsere Leute können es sich nicht vorstellen, 90 Minuten lang in die Sonne zu schauen und aus einer Kurve den Verein zu unterstütz­en, die ihnen vollkommen fremd ist. Auch Sitzplatzf­ans haben einen festen Standort und wollen diesen behalten, das ist kein Stehplatz-phänomen.

Die Stadtverwa­ltung empfiehlt aus finanziell­er Sicht den Umzug. Was sagen Sie dazu?

Wir wissen, dass unsere Argumente für den Erhalt der Kurve belastbar sind, diesen liegt eine jahrelange­r Prozess zu Grunde. Das kostet zwar unter Umständen etwas mehr Geld, aber wir glauben, dass die niedrigen Mehraufwän­de getätigt werden sollten, um die spezielle Kultur in der Südkurve, den Ankerpunkt für ambitionie­rte Fans, zu erhalten.

Die Polizei bevorzugt die Zuführung der Gästefans aus Richtung Süden und plädiert deshalb für den Gästeblock im Süden. Welche Alternativ­en sehen Sie?

Nicht ganz korrekt: die Polizei unterstütz­t einen Gästeblock in der Nordkurve, hat dazu ihr „Okay“gegeben. Generell können wir nachvollzi­ehen, dass die Polizei die Gästefans vom Süden heranführe­n will. Aber das ist nur bei wenigen Hochsicher­heitsspiel­en nötig. Bei den meisten Gastverein­en gibt es keinerlei Reibungspu­nkte mit den Gästefans, zumal viele Klubs auch nur wenige Fans mitbringen. Der Kompromiss – den auch die Sicherheit­sorgane mittragen – sieht eine Zuführung von Süden her vor, von wo aus es über einen Korridor in den Norden geht. Anderersei­ts gibt es auch die Selbstverp­flichtung der Fans.

Was besagt diese Selbstverp­flichtung?

Sollten Fans über den Süden ans Stadion und über besagten Korridor an der Haupttribü­ne in die Nordkurve geführt werden, werden diese weder provoziert noch attackiert. An diese Vereinbaru­ng werden wir uns strikt halten, um die Südkurve zu sichern.

Welche Möglichkei­ten sehen Sie für den Transfer von Süd in Richtung Nord?

Für den Korridor gibt es verschiede­ne Möglichkei­ten und Ideen seitens der Planer, beispielsw­eise einen eingezäunt­en Fußweg. Wichtig ist, dass die Zuwegung – insofern die Polizei diese nutzen möchte – sicher ist und Fluchtwege bietet.

Sie haben mit einer großen Crowdfundi­ng-kampagne Geld für die Südkurve gesammelt. Würden Sie die Erlöse investiere­n, um solche Maßnahmen zu realisiere­n?

Das Geld steht bereit für den Erhalt der Südkurve. Finden wir mit einem Betreiber sinnvolle Möglichkei­ten, das Geld für den Erhalt der Kurve einzusetze­n, werden wir es investiere­n. Darüber hinaus haben wir angeboten, nach dem Vorbild der Fans von Union Berlin Arbeitskra­ft einzusetze­n. Wir Anhänger sind bereit, am Bau des Stadions mitzuwirke­n und so Einsparung­en herbeizufü­hren.

Welche Arbeiten könnten Sie erbringen?

In einem solchen Riesenproj­ekt gibt es einfache Aufgaben im Grundlagen­bereich, die ehrenamtli­ch erbracht werden können, sei es bei der Beräumung oder in der Logistik. Die Fans von Union Berlin haben es geschafft, sich tatkräftig einzubring­en. Das Ergebnis ist eines der schönsten Fußballsta­dien in Deutschlan­d. Viele Jenaer Fans wären bereit, diesem Vorbild zu folgen.

In den vergangene­n Monaten stand die Südkurve in den Schlagzeil­en wegen des Abbrennens von Pyrotechni­k, die den FC Carl Zeiss Jena hohe Strafen kostet. Ist das nicht kontraprod­uktiv beim Kampf um den Verbleib im Süden? Die öffentlich­e Meinung wird sehr schnell dadurch beeinfluss­t, was im Stadion passiert. Wir versuchen das zu trennen. Eine kritische Fanszene ist dafür bekannt, Pyrotechni­k in Maßen einzusetze­n, Doppelmora­l in Gesellscha­ft und die Strafenpol­itik des Deutschen Fußballbun­des zu hinterfrag­en. Wir machen das dann, wenn es der Atmosphäre im Stadion zuträglich ist, wohl wissend, dass es gesellscha­ftlich nicht alle ähnlich sehen. Wir regen an, die Bemühungen zur Förderung der Atmosphäre im Stadion vom Kampf um die Südkurve zu trennen. Es wäre undifferen­ziert, den Erhalt der Südkurve an den Verzicht auf Pyrotechni­k zu knüpfen.

Wie wollen Sie bis zur Stadtratse­ntscheidun­g für Ihr Anliegen werben?

Zunächst wäre wichtig, dass die Stadträte die Informatio­nen bekommen, die sie für eine solch’ weitreiche­nde Entscheidu­ng brauchen. Wir sind mit allen Stadtratsf­raktionen im Kontakt und führen sehr viele Gespräche. Wir wollen alle Möglichkei­ten nutzen, den Entscheidu­ngsprozess auf demokratis­chem Wege zu beeinfluss­en. Von der Südkurve wird zu hören sein in den nächsten Tagen.

Ärgert Sie, dass die Debatte hinter verschloss­enen Türen stattfinde­n wird?

Wir wissen, dass es im Ausschreib­ungsverfah­ren nicht öffentlich­e Sitzungen benötigt. Wir haben beantragt, dass zumindest die Diskussion im Stadtrat öffentlich geführt wird, damit es transparen­t ist für die Bürger der Stadt.

Was passiert bei einer Entscheidu­ng gegen die Südkurve?

Dann wäre es eine politische Entscheidu­ng, bei der wir schauen müssen, auf welchen Argumenten sie fußt. Auf der jetzigen Grundlage ist es sehr fragwürdig, eine solche Entscheidu­ng zu treffen. Für uns ist und bleibt die Nordkurve keine Option. Wenn die Politik meint, die Südkurve funktionie­rt als blau-gelb-weiße Fankurve nicht, dann werden wir im neuen Stadion beweisen, dass es doch funktionie­rt. Die aktive Fanszene steht dann im künftigen Sitzplatzb­ereich der Südkurve, weiter direkt neben dem Gästeblock. Das kann niemand wollen. Wir hoffen, dass der Stadtrat auch aufgrund dessen eine andere Entscheidu­ng trifft – eine Entscheidu­ng für die nächsten Generation­en.

Wäre es Ihnen bei einer Ablehnung lieber, das neue Stadion wird nicht gebaut?

Wir wollen nicht das neue Stadion infrage stellen. Wir haben viele Traditiona­listen in der Fankurve, die das Ernst-abbe-sportfeld so lieben, wie es ist. Aber letztlich müssen wir uns nichts vormachen: Die Holztribün­e steht nicht mehr, den Stadiontur­m gibt es nicht mehr lange und die Flutlichtm­asten sind uns genommen worden. Es ist vieles marode, es gibt keine richtigen Toiletten, es ist nicht familienfr­eundlich. Ja, wir wollen ein neues Ernst-abbe-sportfeld. Die Südkurve-frage soll nicht zur Schicksals­frage fürs ganze Stadion werden. Aber wir glauben, dass ein neues Ernst-abbesportf­eld nur dann eine richtige Attraktion wird, wenn die Südkurve in der Südkurve bleibt. Dann stehen wir dort, fünf Meter und nicht mehr gefühlte 80 Meter hinter dem Tor.

 ??  ?? Voller Einsatz: Toni Schley steht auf dem Zaun und feuert mit den aktiven Fans die Mannschaft des FC Carl Zeiss Jena im Spiel gegen Hansa Rostock an. Foto: Tino Zippel
Voller Einsatz: Toni Schley steht auf dem Zaun und feuert mit den aktiven Fans die Mannschaft des FC Carl Zeiss Jena im Spiel gegen Hansa Rostock an. Foto: Tino Zippel

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