Ostthüringer Zeitung (Pößneck)
Wo Fläche und Raum verschmelzen
Kunstverein Gera stellt ab heute Tuschezeichnungen und Wandobjekte der zeitgenössischen Künstlerin Wanda Stolle aus
Gera. „Flogra“ist altnordisch und heißt „Flagge“, und wie eine solche hängt diese 1,20 Meter lange und fast einen Meter hohe Skulptur in glänzendem, fast metallischem Grauschwarz und scheinbar schwerelos an der hinteren Wand im Geraer Kunstverein. Sie ist Teil der Ausstellung „Overlaps“, die ab heute Abend Tuschezeichnungen und Wandobjekte der zeitgenössischen Berliner Künstlerin Wanda Stolle zeigt.
Eigentlich war das Jahresmotto Dualität des Geraer Kunstvereins in den bisherigen Ausstellungen immer mehreren Künstlern gewidmet, die sich im Dialog gegenüber standen. Wanda Stolle wiederum führt diesen Dialog inhaltlich mit ihren eigenen Arbeiten – im Gegensatz von Schwarz und Weiß, von Fläche und Raum, von Illusion und Materialität.
„Flogra“ist aus Biegeholz gefertigt. Die Seiten der großen Skulptur wölben sich einem eingerollten, leichten Pergament gleich in den Raum. Schattierungen, Kratzer, Spuren von Gewischtem lassen die Graphitoberfläche ganz lebendig in vielen grauen Schattierungen erscheinen. Manchmal spiegelt sich das Licht des Himmels oder Raumes auf der Fläche, ansonsten gibt es keine Farbe in den Arbeiten von Wanda Stolle.
In wochenlanger Arbeit und mit großem körperlichen Einsatz hat die Künstlerin das Biegeholz unter mechanischem und thermischem Einfluss in seine wunderschön verschlungene Form gebogen und gezogen. Schließlich ähneln die mächtigen gewundenen Körper in ihrer Leichtigkeit und Beweglichkeit vergrößerten Papierstreifen.
Ihre Zeichnungen und Gemälde wiederum gleichen Skulpturen. „Es sind für mich Bilder, die ich bildhauerisch bearbeite, denn ich brauche den Bezug zur Wand; meine Skulpturen dagegen bearbeite ich wie Zeichnungen“, erklärt die Künstlerin. Stolles Arbeiten durchstreifen somit das künstlerische Feld, das sich zwischen den Polen der Zeichnung und Bildhauerei aufspannt. Gemeinsam ist allen Werken die Ausdifferenzierung der Grautöne: von monochromen Flächen über das eingearbeitete Spiel mit Linien und Perspektiven, von weicher, diffuser Wolkigkeit bis zu harten Schnitten. Streng geometrische Formen antworten bei Stolle auf virtuose Schwünge und Kurven.
An ihre geometrischen Grundfiguren oder komplizierten Polyeder auf dickem Papier geht sie mit den Werkzeugen des Bildhauers ran, beginnt zu schneiden, ritzen, schaben und schleifen. Groß und beeindruckend empfängt beispielsweise „Orbit“von 2017 im Eingangsbereich. In dem Spiel feiner Farbgraduierungen, zarter Linien und derber Kontraste schafft sie ein dreidimensionales Gebilde. Die fein mit dem Cutter in das Papier hineingeschnittenen Linien übergießt sie sanft mit Tusche, lässt die dunkle Farbe fließen, arbeitet sie geduldig ein, bis die Arbeiten förmlich aufspringen, sich in den Raum wölben und die Oberfläche der eines Holzkörpers mit feiner Maserung gleicht. Dem Betrachter eröffnen sich neue spannende Perspektiven der eigentlich flach für die Wand gedachten Bilder.
Geboren wurde Wanda Stolle 1985 in Berlin, verbrachte ihre Kindheit in Pankow. Nach dem Abitur verließ sie die Heimat für ein Freiwilliges Soziales Jahr Richtung Brasilien. Dort begann sie, mit Papier und Stift festzuhalten, was ihr wichtig war, bewarb sich schließlich mit diesen Arbeiten an der Universität der Künste in Berlin und studierte ab 2006 Lehramt und Freie Kunst unter anderem bei den Professoren Frank Badur und Pia Fries. 2012 und 2013 schloss sie ihr Studium ab und erhielt eines der Stipendien, die den drei besten Absolventen vorbehalten sind. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin.
Alle im Kunstverein gezeigten Arbeiten können käuflich erworben werden.
Vernissage in Anwesenheit der Künstlerin: Heute, . Uhr, im Kunstverein Gera, Markt /; „Overlaps“bis . Dezember zu sehen; Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag bis Uhr.