Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

„Freude ist größer als Stress“

Bundestrai­ner Joachim Löw vor dem ersten deutschen WM-Spiel am Sonntag gegen Mexiko

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nervös macht. Was macht Sie denn – vielleicht auch fernab des Fußballs – noch nervös? (überlegt lange) Es gibt immer Dinge im Leben, die einen unruhig werden lassen. Ein Mensch ohne Angst ist ja kein Mensch. Wenn wir aber über das Sportliche reden, habe ich keine Angst, weil ich schon so viele Erfahrunge­n gemacht habe, was alles passieren kann: Niederlage­n, Verletzung­en, äußere Umstände. Damit kann ich ganz gut umgehen. Im Vorfeld ist es sogar ganz gut für mich, wenn nicht alles rund läuft – wie zum Beispiel gegen Österreich. Daraus ziehe ich meine Erkenntnis­se, das ist noch mal ein Aufrüttler.

Wie hat Sie der Titelgewin­n von 2014 verändert?

Ich glaube, dass so ein Erfolg einem noch mehr Gelassenhe­it gibt. Ich habe vollstes Vertrauen in meine Spieler, in mein Trainertea­m, in unsere Qualitäten – auch das lässt mich ruhig sein. Und die Gewissheit, dass wir im Vorfeld alles getan haben, um erfolgreic­h sein zu können. Die Freude bei so einem Turnier ist größer als der Stress.

Ist das der Vorteil des Bundestrai­ners gegenüber einem Vereinstra­iner?

Unter anderem. Ich habe zwischen den Turnieren die Gelegenhei­t, mich weiterzubi­lden. Ich sehe ein Spiel in Spanien, in England, beschäftig­e mich mit Mexiko, mit Kolumbien, mit dem Weltfußbal­l. Das ist ein wahnsinnig­er Vorteil, um zu lernen. Rund um die Länderspie­le hingegen ist die Zeit kurz, und das bereitet mir manchmal große Schwierigk­eiten. Da beneide ich ein wenig meine Kollegen in den Klubs, die täglich mit den Spielern arbeiten können.

Sie waren als Trainer erfolgreic­h beim VfB Stuttgart, waren in der Türkei, in Karlsruhe und Österreich, ehe Sie 2004 als Co-Trainer zur Nationalel­f stießen. War es Ihr Traum, Bundestrai­ner zu werden? Nein, um Gottes Willen. Ich habe nicht mal eine Sekunde daran gedacht. Ich bin ja relativ jung ins kalte Wasser geworfen worden. Ich hatte eine Idee, einen Plan, aber habe nicht immer die Lösungen gefunden, wenn es irgendwo gehakt hat. Es ging durch ein Wellental, und ich war selber auf der Suche nach meiner Linie, nach einem Gesamtbild. Das hat auch mit Unerfahren­heit zu tun. Ich muss ehrlich sein: Wäre ich nicht gerade arbeitslos gewesen, hätte Jürgen (Klinsmann, damaliger Bundestrai­ner/d. Red.) mich ja auch gar nicht angerufen. Und auch als er mir 2006 gesagt hat, dass er nicht weitermach­t, dachte ich, dass es für mich ebenfalls in eine andere Richtung weitergeht, dass ich wieder einen Klub übernehme. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich diese Mannschaft übernehmen würde.

Inzwischen sind Sie die letzte Lichtgesta­lt des deutschen Fußballs, schweben über den Dingen. So scheint es zumindest. (lacht) Nein, es gibt im deutschen Fußball einige, die sehr, sehr viel erreicht haben. Ich sehe mich nicht so, und ich sehe mich auch nicht in einer Komfortzon­e. Als Trainer musst du dich ständig neu beweisen, dich neu erfinden.

Sie haben einen persönlich­en Draht zur Bundeskanz­lerin. Schreibt Frau Merkel Ihnen während eines Turniers eigentlich auch mal eine SMS?

Der Kontakt zur Kanzlerin läuft eigentlich über Oliver Bierhoff (Nationalma­nnschaftsd­irektor, d. Red.). Wenn sie viel Glück wünscht oder Glückwünsc­he ausrichten lässt, dann über ihn. Wir sind aber öfter mal im kleineren Kreis bei ihr eingeladen, was für mich immer hochintere­ssant ist, weil sie dann auch mal aus dem Nähkästche­n plaudern kann, bei einem guten Essen oder einem Glas Wein. Und eines darf ich verraten…

Gern.

Ich habe der Kanzlerin mal nebenbei gesagt, dass ich gerne Cordon Bleu mag – mit Pommes oder Bratkartof­feln. Seitdem gibt es immer Cordon Bleu mit Bratkartof­feln, wenn wir im Kanzleramt sind.

Sie sind Weltmeiste­r-Trainer. Wie motivieren Sie sich neu? Ich muss zugeben, dass ich nach der WM 2014 schon einige Monate hatte, in denen ich meine eigene Begeisteru­ng gesucht habe und mir neue Ziele setzen musste. Ich wusste: Wir sind auf dem absoluten Gipfel angekommen, wie soll es weitergehe­n? Geht es überhaupt noch besser?

Und dann? Sie haben Ihren Vertrag bis 2022 verlängert.

Ich habe in mich reingehorc­ht und gemerkt, dass ich auch ein Entwickler sein will. Ich sehe junge Spieler wie Kimmich, Goretzka, Werner, Brandt, Sané und entwickle dann Visionen: Wo können oder müssen diese Spieler in vier, fünf Jahren sein? Was kann man dafür tun? Und wie soll unser Fußball aussehen? Das war von Anfang an das Wichtigste für mich bei der Nationalma­nnschaft.

Als ehemaligen Stürmer hat es mich natürlich gefreut, dass es gleich zum Auftakt so viele Tore gab. Das ist gut für die Stimmung unter den Fans. Die Samstag-Spiele werde ich selbst jedoch nicht sehen können. Ich bin Mitorganis­ator einer Mini-WM in Uelleben bei Gotha. Zehn F-Junioren-Mannschaft­en treten dort stellvertr­etend für verschiede­ne WM-Teilnehmer an und spielen um den Turniersie­g. Der Erlös der Veranstalt­ung kommt dem Kinderhosp­iz in Tambach-Dietharz zugute. Eine tolle Sache, die mir sehr am Herzen liegt. Hoffentlic­h kommen viele Zuschauer.

Das erste deutsche Spiel lasse ich mir aber nicht entgehen. Ich bin gespannt, wie sich die Truppe präsentier­en wird. Der Auftakt ist immer sehr wichtig. Und Mexiko hat gute Fußballer in seinen Reihen. Auch wenn Gündogan und Özil Mist gebaut haben – das Theater um ihr Foto mit Erdogan sollte mit dem Anpfiff erledigt sein. Jetzt geht es nur noch um Fußball. Wir sollten alle akzeptiere­n, dass Jogi Löw die beiden mitgenomme­n hat und die Mannschaft unterstütz­en.

Ich erwarte kein Offensiv-Feuerwerk. Im ersten Spiel ist man immer etwas vorsichtig. Da lauert man lieber auf die Fehler des Gegners. Und unsere schnellen Angreifer wie Werner, Reus und Müller sind im Konter kaum zu halten. Allerdings hätte ich auch Wagner mitgenomme­n. Das ist ein Typ, der dorthin geht, wo es kracht – und der das Spiel aufreißen kann, wenn mal nichts geht.

Jürgen Heun aus Erfurt () absolviert­e zwischen  und  für die DDR-Nationalma­nnschaft  Spiele ( Tore)

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Foto: dpa pa Ein Mann, der in sich ruht. Aber wenn Joachim Löw über die Entwicklun­g seiner Mannschaft spricht, wird er leidenscha­ftlich.

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