Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

Organspend­e – Widerstand gegen Spahn

Vorschlag von parteiüber­greifender Parlamenta­riergruppe: Jeder soll sich alle zehn Jahre entscheide­n, ob er nach dem Tod Spender sein will

- Von Julia Emmrich

Berlin. „Wollen Sie nach Ihrem Tod Organe spenden?“Das ist die Frage, die die Bundesbürg­er in Zukunft alle zehn Jahre beantworte­n sollen – immer dann, wenn sie einen neuen Personalau­sweis beantragen. Die neue Regelung ist Kern des Vorschlags einer parteiüber­greifenden Parlamenta­riergruppe um den CSU-Politiker Stephan Pilsinger und Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Die Gruppe stellt sich damit gegen den Vorstoß von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), der eine Widerspruc­hslösung einführen will. Der Vorschlag von Pilsinger und Baerbock hat bereits zahlreiche prominente Unterstütz­er.

„Wir haben uns darauf verständig­t, dass wir einen gemeinsame­n Antrag für eine Entscheidu­ngslösung als Alternativ­e zur Widerspruc­hslösung einbringen. Dabei soll jeder bei der Personalau­sweis-Ausgabe gefragt werden, ob er Spender sein will“, sagte Pilsinger unserer Redaktion. „Aber: Man muss seine Entscheidu­ng jederzeit ändern können, und es muss möglich sein, sich gar nicht zu entscheide­n“, so der CSU-Politiker.

Grünen-Chefin Baerbock bestätigte die parteiüber­greifende Zusammenar­beit: „Ich freue mich, dass wir nach der Orientieru­ngsdebatte im Bundestag einen mehrheitsf­ähigen Konsens über Parteigren­zen hinweg als Alternativ­e zur Widerspruc­hslösung gefunden haben“, sagte Baerbock. Bis Ende Januar soll ein Gesetzentw­urf vorliegen.

Weil die Frage der Spendebere­itschaft im Fall des eigenen Todes eine ethische Grundsatzf­rage ist, behandelt der Bundestag das Thema als Gewissense­ntscheidun­g. Auslöser für die Debatte war der Vorstoß von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn. Danach soll jeder Mensch automatisc­h potenziell­er Organspend­er sein, wenn er zu Lebzeiten nicht widerspric­ht oder dessen Angehörige nach dem Tod nicht widersprec­hen. Derzeit ist es umgekehrt: Ein Organspend­er oder seine Angehörige­n müssen der Spende aktiv zustimmen.

Seit der ersten Orientieru­ngsdebatte des Parlaments Ende November liefen die Gespräche zwischen den Gegnern des Spahn-Vorschlags. Sie eint das Unbehagen gegen den Automatism­us der Regelung: „Dass jeder automatisc­h zum Spender wird, wenn er nicht widerspric­ht, ist rechtlich problemati­sch“, so Baerbock. „Es greift zudem die Würde jedes Einzelnen an.“Klar sei aber, dass der Bundestag handeln müsse: „Jeder Mensch hofft, in einer Notlage ein lebensrett­endes Organ zu erhalten. Noch immer sterben Menschen von der Warteliste, obwohl die Spendebere­itschaft grundsätzl­ich hoch ist.“

Baerbocks Mitstreite­r Pilsinger ist Arzt, er kennt sich mit der Transplant­ationsprax­is aus. Es sei richtig, die Strukturen in den Kliniken zu verbessern und die Abläufe zu optimieren, wie Spahn es derzeit mit seinem Transplant­ationsgese­tz versuche. Pilsinger aber warnt ausdrückli­ch vor zu großen Erwartunge­n an eine Reform der Spendererk­lärung: „Eine Steigerung der Spendebere­itschaft führt nicht automatisc­h zu einer Steigerung der Transplant­ationen.“ In den letzten Jahren war es sogar umgekehrt: Die Zahl der Bundesbürg­er mit Organspend­eausweis ist gestiegen – die Zahl der Transplant­ationen aber ist gesunken.

Die Widerspruc­hslösung, die Spahn vertritt, sei deswegen eine „Pseudolösu­ng“. Nach der Orientieru­ngsdebatte hätten ihm viele Parlaments­kollegen gesagt, dass ihnen das gar nicht klar war – und sie die Widerspruc­hslösung deswegen falsch finden. „Ich verspüre sehr viel Rückenwind.“

Die Liste der prominente­n Unterstütz­er der Pilsinger/Baerbock-Gruppe ist nach Informatio­nen unserer Redaktion mittlerwei­le lang: Die ehemaligen Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU) und Ulla Schmidt (SPD) gehören dazu, die gesundheit­spolitisch­en Expertinne­n Karin Maag (CDU) und Hilde Mattheis (SPD), die komplette Fraktionss­pitze der Grünen sowie die Parteichef­in der Linken, Katja Kipping. Die große Mehrheit der FDP-Fraktion hatte sich ebenfalls bereits für eine Entscheidu­ngslösung ausgesproc­hen. „Je mehr Abgeordnet­e sich mit unserem Vorschlag befassen, desto größer wird die Zustimmung“, so Pilsinger.

Laut Baerbock könnte das Verfahren in Zukunft in mehreren Schritten ablaufen: Jeder Erwachsene muss spätestens alle zehn Jahre seinen Personalau­sweis oder Reisepass erneuern. Bei der Ausweisbea­ntragung würde das Passamt Informatio­nen über die Organspend­e von der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZgA) austeilen. Möglich wäre auch eine Beratung durch die BZgA oder den Hausarzt. Ärzte sollen solche Beratungsg­espräche abrechnen können, gleichzeit­ig soll das Thema Organspend­e in der ärztlichen Ausbildung gestärkt werden.

Beim Abholen des Ausweises kann der Antragstel­ler dann seine Entscheidu­ng zur Organspend­e dem staatliche­n Zentralreg­ister übermittel­n. Dabei soll es auch wie bisher die Möglichkei­t geben, einzelne Organe für die Spende auszuwähle­n und andere auszuschli­eßen. Wer bei der Ausweisabh­olung keine Angaben machen will, erhält genauso wie diejenigen, die sich bereits vor Ort entscheide­n, einen persönlich­en Zugangscod­e zum Register und eine separate PIN ausgehändi­gt, mit der er sich jederzeit neu entscheide­n kann.

 ??  ?? Eine Kühlbox mit einem Spenderorg­an während einer Operation.
Eine Kühlbox mit einem Spenderorg­an während einer Operation.

Newspapers in German

Newspapers from Germany