Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)
Rechtsextreme in Uniform?
Polizisten in Frankfurt sollen sich rechtsextreme Nachrichten in einem Chat geschickt und sogar eine Anwältin bedroht haben
Berlin. Seda Başay-Yıldız wusste, dass sie zur Polizei gehen muss, als sie den Namen ihrer Tochter las, gerade zwei Jahre alt. Begonnen hatte das Fax, das anonym an ihr Frankfurter Büro geschickt wurde, in einem Ton, den die Anwältin kennt: „Miese Türkensau“, heißt es darin, und: „Du machst Deutschland nicht fertig.“Es war nicht das erste Mal, dass Başay-Yıldız beschimpft wurde. Die Anwältin vertrat die Familien der Opfer im NSU-Prozess. Sie übernahm das Mandat für den nach Tunesien abgeschobenen „Gefährder“Sami A., der einst Osama bin Ladens Leibwächter gewesen sein soll. Doch dieser Fall war anders. Denn das Fax, das sie im August erreichte, enthielt Informationen, die nicht mit ein paar Internet-Klicks zu finden sind. Wie ihre Privatadresse. Oder eben den Namen ihrer Tochter – und die Drohung, das Mädchen zu „schlachten“. Unterzeichnet war der Brief mit „NSU 2.0“.
Die Anwältin erstattete Anzeige – und brachte den größten Polizeiskandal des Jahres ins Rollen. Der Verdacht: Im 1. Frankfurter Revier, mitten in der Stadt, schloss sich eine Gruppe von Beamten zusammen, darunter eine Frau. Sie gründeten eine WhatsAppGruppe, teilten dort mutmaßlich Nazi-Propaganda, schickten sich fremdenfeindliche Sprüche, Bilder und Videos. Wurden aus den rechtsextremen Chats handfeste Drohungen? Stecken Polizisten hinter dem „NSU 2.0“, dem „Nationalsozialistischen Untergrund 2.0“? Zur Erinnerung: Der NSU um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe tötete von 2000 bis 2007 zehn Menschen aus rassistischen Motiven.
Am Dienstag durchsuchten Polizisten nun auch eine Dienststelle im Kreis MarburgBiedenkopf. Die Razzia soll einen der fünf Beamten betroffen haben, gegen die sich die Vorwürfe richten. Der Polizist soll auch dort im Einsatz gewesen sein. Die beschuldigten Polizisten sind vom Dienst suspendiert.
Am Dienstag erstattete ein weiterer Anwalt von NSU-Opfern Anzeige – auch Mustafa Kaplan hatte eine Hassmail mit dem Betreff „NSU 2.0“erhalten. Weitere Anwälte, die Opfer von rechtsextremer Gewalt vertreten, berichten unserer Redaktion von Drohungen, die meist anonyme Absender an ihre Kanzlei schickten. Aber von Polizisten?
Das 1. Frankfurter Polizeirevier liegt in einer der bekanntesten Einkaufsstraßen der Stadt, der Zeil. Hausnummer 33. Schon vor Monaten entdeckten Ermittler laut Recherchen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“auf dem Computer einer Beamtin eine brisante Spur. Die Polizistin soll die Meldeadresse der Anwältin Başay-Yıldız in der Behörden-Datenbank abgerufen haben. Die Staatsschützer durchsuchten Festplatte und Handy der Beamtin. Dann stießen die Ermittler auf die ChatGruppe der Polizisten. Und auf die Hitler-Bilder, die dort unter anderem gepostet wurden.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Volksverhetzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Behörde wollte sich auf Nachfrage unserer Redaktion nicht zu dem Fall äußern. Auch die Anwältin BaşayYıldız will nichts mehr sagen.
Die politisch Verantwortlichen gingen lange auf Tauchstation. Erst am Dienstag kündigte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) „harte Konsequenzen“an, sollte sich der Verdacht gegen die Polizisten erhärten. Die hessische Opposition beklagt, dass weder die Polizeiführung noch die Landesregierung transparent mit dem Fall umgingen.
Im Bundestag fordern Politiker Konsequenzen
Polizisten fielen schon früher mit rassistischen oder neonazistischen Vergehen auf. Seit August 2017 ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen eine Gruppe mutmaßlicher Rechtsterroristen aus MecklenburgVorpommern – darunter ein Polizist aus Ludwigslust. Ende September wurde bekannt, dass zwei sächsische SEK-Beamte für einen Polizeieinsatz anlässlich des Besuchs des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan den Tarnnamen des NSUMitglieds Uwe Böhnhardt in die Dienstliste eintrugen. 2016 schrieb kurz nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz ein im Anti-Terror-Kommissariat arbeitender Polizeioberkommissar Textnachrichten an seinen Vorgesetzten. Darin nutzte er die Codeformel „88“, die unter Rechtsextremen für die NS-Grußformel „Heil Hitler“steht, und sprach von „scheiß Gut-Menschen“. Im April dieses Jahres erhielt er einen Verweis.
Für die Polizeigewerkschaft sind es Einzelfälle. Forscher warnen jedoch davor, geheime Bünde in der Polizei zu verharmlosen. Eine rechtsextreme Struktur erkennen Experten jedoch nicht.
Im Bundestag fordern Politiker Konsequenzen nach Bekanntwerden der Ermittlungen in Frankfurt. „Die Politik muss diese rechten Strukturen und ihre Vernetzung sehr viel stärker in den Blick nehmen“, sagte der Vize-Fraktionschef der Grünen, Konstantin von Notz, unserer Redaktion. „Wir brauchen Polizeibeauftragte, damit Polizeibeamte frühzeitig auch anonym Hinweise auf derartige Entwicklungen geben können.“
Dem schließt sich auch ExPolizeischüler Simon Neumeyer an. Der 21-Jährige hatte nach acht Monaten seine Ausbildung quittiert, weil er nach eigenen Angaben nahezu täglich mit Rassismus konfrontiert wurde. So habe Neumeyers damaliger Schießlehrer die Wichtigkeit des Schießens betont, „weil jetzt so viele Gäste ins Land kommen würden“. Neumeyer machte den Fall öffentlich und stellte Fotos eines Chats der Polizeischüler ins Netz, in dem rassistische Sprüche fielen. Seit diesem Montag laufen erste Disziplinarverfahren.