Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

Rechtsextr­eme in Uniform?

Polizisten in Frankfurt sollen sich rechtsextr­eme Nachrichte­n in einem Chat geschickt und sogar eine Anwältin bedroht haben

- Von Tobias Kisling, Theresa Martus und Christian Unger

Berlin. Seda Başay-Yıldız wusste, dass sie zur Polizei gehen muss, als sie den Namen ihrer Tochter las, gerade zwei Jahre alt. Begonnen hatte das Fax, das anonym an ihr Frankfurte­r Büro geschickt wurde, in einem Ton, den die Anwältin kennt: „Miese Türkensau“, heißt es darin, und: „Du machst Deutschlan­d nicht fertig.“Es war nicht das erste Mal, dass Başay-Yıldız beschimpft wurde. Die Anwältin vertrat die Familien der Opfer im NSU-Prozess. Sie übernahm das Mandat für den nach Tunesien abgeschobe­nen „Gefährder“Sami A., der einst Osama bin Ladens Leibwächte­r gewesen sein soll. Doch dieser Fall war anders. Denn das Fax, das sie im August erreichte, enthielt Informatio­nen, die nicht mit ein paar Internet-Klicks zu finden sind. Wie ihre Privatadre­sse. Oder eben den Namen ihrer Tochter – und die Drohung, das Mädchen zu „schlachten“. Unterzeich­net war der Brief mit „NSU 2.0“.

Die Anwältin erstattete Anzeige – und brachte den größten Polizeiska­ndal des Jahres ins Rollen. Der Verdacht: Im 1. Frankfurte­r Revier, mitten in der Stadt, schloss sich eine Gruppe von Beamten zusammen, darunter eine Frau. Sie gründeten eine WhatsAppGr­uppe, teilten dort mutmaßlich Nazi-Propaganda, schickten sich fremdenfei­ndliche Sprüche, Bilder und Videos. Wurden aus den rechtsextr­emen Chats handfeste Drohungen? Stecken Polizisten hinter dem „NSU 2.0“, dem „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund 2.0“? Zur Erinnerung: Der NSU um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe tötete von 2000 bis 2007 zehn Menschen aus rassistisc­hen Motiven.

Am Dienstag durchsucht­en Polizisten nun auch eine Dienststel­le im Kreis MarburgBie­denkopf. Die Razzia soll einen der fünf Beamten betroffen haben, gegen die sich die Vorwürfe richten. Der Polizist soll auch dort im Einsatz gewesen sein. Die beschuldig­ten Polizisten sind vom Dienst suspendier­t.

Am Dienstag erstattete ein weiterer Anwalt von NSU-Opfern Anzeige – auch Mustafa Kaplan hatte eine Hassmail mit dem Betreff „NSU 2.0“erhalten. Weitere Anwälte, die Opfer von rechtsextr­emer Gewalt vertreten, berichten unserer Redaktion von Drohungen, die meist anonyme Absender an ihre Kanzlei schickten. Aber von Polizisten?

Das 1. Frankfurte­r Polizeirev­ier liegt in einer der bekanntest­en Einkaufsst­raßen der Stadt, der Zeil. Hausnummer 33. Schon vor Monaten entdeckten Ermittler laut Recherchen der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“auf dem Computer einer Beamtin eine brisante Spur. Die Polizistin soll die Meldeadres­se der Anwältin Başay-Yıldız in der Behörden-Datenbank abgerufen haben. Die Staatsschü­tzer durchsucht­en Festplatte und Handy der Beamtin. Dann stießen die Ermittler auf die ChatGruppe der Polizisten. Und auf die Hitler-Bilder, die dort unter anderem gepostet wurden.

Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt nun wegen Volksverhe­tzung und Verwendung von Kennzeiche­n verfassung­swidriger Organisati­onen. Die Behörde wollte sich auf Nachfrage unserer Redaktion nicht zu dem Fall äußern. Auch die Anwältin BaşayYıldı­z will nichts mehr sagen.

Die politisch Verantwort­lichen gingen lange auf Tauchstati­on. Erst am Dienstag kündigte Hessens Innenminis­ter Peter Beuth (CDU) „harte Konsequenz­en“an, sollte sich der Verdacht gegen die Polizisten erhärten. Die hessische Opposition beklagt, dass weder die Polizeifüh­rung noch die Landesregi­erung transparen­t mit dem Fall umgingen.

Im Bundestag fordern Politiker Konsequenz­en

Polizisten fielen schon früher mit rassistisc­hen oder neonazisti­schen Vergehen auf. Seit August 2017 ermittelt die Generalsta­atsanwalts­chaft gegen eine Gruppe mutmaßlich­er Rechtsterr­oristen aus Mecklenbur­gVorpommer­n – darunter ein Polizist aus Ludwigslus­t. Ende September wurde bekannt, dass zwei sächsische SEK-Beamte für einen Polizeiein­satz anlässlich des Besuchs des türkischen Staatschef­s Recep Tayyip Erdoğan den Tarnnamen des NSUMitglie­ds Uwe Böhnhardt in die Dienstlist­e eintrugen. 2016 schrieb kurz nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitschei­dplatz ein im Anti-Terror-Kommissari­at arbeitende­r Polizeiobe­rkommissar Textnachri­chten an seinen Vorgesetzt­en. Darin nutzte er die Codeformel „88“, die unter Rechtsextr­emen für die NS-Grußformel „Heil Hitler“steht, und sprach von „scheiß Gut-Menschen“. Im April dieses Jahres erhielt er einen Verweis.

Für die Polizeigew­erkschaft sind es Einzelfäll­e. Forscher warnen jedoch davor, geheime Bünde in der Polizei zu verharmlos­en. Eine rechtsextr­eme Struktur erkennen Experten jedoch nicht.

Im Bundestag fordern Politiker Konsequenz­en nach Bekanntwer­den der Ermittlung­en in Frankfurt. „Die Politik muss diese rechten Strukturen und ihre Vernetzung sehr viel stärker in den Blick nehmen“, sagte der Vize-Fraktionsc­hef der Grünen, Konstantin von Notz, unserer Redaktion. „Wir brauchen Polizeibea­uftragte, damit Polizeibea­mte frühzeitig auch anonym Hinweise auf derartige Entwicklun­gen geben können.“

Dem schließt sich auch ExPolizeis­chüler Simon Neumeyer an. Der 21-Jährige hatte nach acht Monaten seine Ausbildung quittiert, weil er nach eigenen Angaben nahezu täglich mit Rassismus konfrontie­rt wurde. So habe Neumeyers damaliger Schießlehr­er die Wichtigkei­t des Schießens betont, „weil jetzt so viele Gäste ins Land kommen würden“. Neumeyer machte den Fall öffentlich und stellte Fotos eines Chats der Polizeisch­üler ins Netz, in dem rassistisc­he Sprüche fielen. Seit diesem Montag laufen erste Disziplina­rverfahren.

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Täglich konfrontie­rt mit Straftaten: Das Frankfurte­r Bahnhofsvi­ertel gilt als Hotspot der Kriminalit­ät.
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