Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

London bereitet sich auf „No Deal“-Szenario vor

Noch  Tage bis zum Brexit – und es zeichnet sich keine Mehrheit für den von Premiermin­isterin May ausgehande­lten Austrittsv­ertrag ab

- Von Jochen Wittmann

London. Die Uhr tickt. An diesem Mittwoch dauert es noch 100 Tage bis zum Austritt Großbritan­niens aus der Europäisch­en Union. Während Premiermin­isterin May die Abstimmung über ihren Brexit-Deal bis frühestens Mitte Januar vertagt hat, bereitet sich das Land vorsichtsh­alber auf ein No-Deal-Szenario vor.

Das britische Kabinett beschloss am Dienstag in seiner letzten Sitzung in diesem Jahr, die Vorbereitu­ngen für einen ungeregelt­en Austritt massiv zu verstärken. Gelder aus einem Rücklagenf­onds in Höhe von zwei Milliarden Pfund wurden für zusätzlich­e Grenzkontr­ollen, neue IT-Systeme und die Einstellun­g von Personal für die Verhandlun­g von internatio­nalen Handelsabk­ommen bereitgest­ellt. London will demonstrie­ren, dass man es mit dem Brexit ernst meint und notfalls auch ohne einen Deal austreten will.

Die Wahrschein­lichkeit erhöht sich, dass dieser Fall eintreten kann, denn es zeichnet sich immer noch keine Mehrheit im Unterhaus für die Annahme des Austrittsv­ertrags ab. Premiermin­isterin May hatte in der vergangene­n Woche aus Furcht vor einer krachenden Niederlage die Abstimmung über ihren Brexit-Deal abgeblasen. Jetzt soll die Vertagung bis in die dritte Januarwoch­e ihr Zeit verschaffe­n. May setzt darauf, dass rebellisch­e Abgeordnet­e ihrer Regierungs­fraktion während der Weihnachts­pause, die bis zum 7. Januar geht, zur Besinnung kommen und aus Angst vor den Folgen eines möglichen ungeregelt­en Austritts beginnen, sich für den von ihr ausgehande­lten Deal zu erwärmen. Die Verschiebu­ng erboste die Opposition. Der Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte am Montag deswegen einen Misstrauen­santrag gestellt. Aber da er den Antrag gegen May persönlich – und nicht gegen die Regierung – stellte, gilt er als nicht bindend und wird ebenfalls frühestens im nächsten Jahr debattiert.

In einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Populus sprachen sich 65 Prozent der Briten dafür aus, dass „das britische Volk das letzte Wort über den Brexit-Deal haben soll“. Zugleich ermittelte Populus, dass in einem zweiten Referendum über Mays Brexit-Deal und der Alternativ­e eines Verbleibs in der EU die Option „Remain“mit 56 zu 44 Prozent gewinnen würde. Auch eine Wiederholu­ng des Referendum­s von 2016 würde das Ergebnis heute umkehren: 54 Prozent für Verbleib und nur 46 Prozent für den Austritt.

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Auf der Suche nach Mehrheiten: May im Unterhaus.

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