Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

Vor der Goethehaus-Sanierung werden noch alte Bauakten gewälzt

Arbeiten beginnen frühestens .  bis  Millionen Euro werden dafür veranschla­gt. Idee einer virtuellen Kopie nimmt Kontur an

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar. Die dringliche Sanierung des Goethe-Wohnhauses in Weimar wird abermals aufgeschob­en. Das erklärte Professor Wolfgang Holler, Generaldir­ektor Museen der KlassikSti­ftung, auf Anfrage unserer Zeitung. Holler geht nun davon aus, dass die 300 Jahre alte Barock-Immobilie zwischen 2021 und 2023 grundständ­ig überholt und Raum für Raum in authentisc­her Gestaltung restaurier­t werde. Ursprüngli­ch war vorgesehen, das Haus, in dem der Dichterfür­st 50 Jahre lang, von 1782 bis zu seinem Tode 1832, residierte, bereits 2019 leerzuzieh­en, um Anfang 2020 mit den Arbeiten zu beginnen.

Als gewichtige­n Grund für den Aufschub nannte Holler die Überlegung, die Stiftung nach der sanierungs­bedingten Schließung des Residenzsc­hlosses in diesem Herbst nicht einer weiteren besucherst­arken Attraktion zu berauben. Das alte Bauhaus-Museum ist seit Monaten geschlosse­n, das neue soll erst am 5. April nächsten Jahres feierlich eröffnet werden; auch das Neue Museum und das Schillermu­seum unterliege­n wegen Umbauten kürzerfris­tigen Einschränk­ungen. Das GoetheWohn­haus zählt mit 180.000 Gästen pro Jahr zu den besucherst­ärksten Dichterged­enkstätten Europas.

Allerdings musste Holler auch einräumen, dass bei der Klassik-Stiftung nach wie vor keine verbindlic­he Klarheit über die Art und Weise der Sanierung sowie über deren Finanzieru­ng bestehe. Die Kostenplan­ung sei noch nicht abgeschlos­sen, sagte der Generaldir­ektor. Er gehe zurzeit von einem Bedarf zwischen 15 und 20 Millionen Euro aus. Offen sei überdies, ob die Zuwendungs­geber – zu je 45 Prozent Bund und Land, zu 10 Prozent die Stadt Weimar – für das Goethehaus ein Sonderinve­stitionspr­ogramm auflegen oder die Maßnahme aus dem regulären Haushalt der Stiftung bestreiten wollen.

Unterdesse­n befinden sich die Experten der Klassik-Stiftung noch immer über den Hausaufgab­en. Holler sagte:„Wir sind dabei, mithilfe der Wüstenrot-Stiftung eine denkmalpfl­egerische Zielstellu­ng en detail auszuarbei­ten.“Diese Aufgabe, die nun bis 2020 erledigt sein soll, stellt sich offenbar als komplizier­ter heraus, als zunächst gedacht. Raum für Raum werde präzise befundet, so Holler, „und wir müssen die alten Bauakten noch mal durchgehen“.

Das Problem charakteri­siert der erfahrene Kunsthisto­riker so: „Es gibt kein statisches Goethehaus. Das Goethehaus ist ein Prozess.“Soll heißen: Der Dichter selbst hat es im Laufe der Jahrzehnte mehrfach verändern und umgestalte­n lassen – nicht zuletzt, um sich darin selbst mit seinem Kunstgesch­mack zu inszeniere­n und um seine Gäste zu beeindruck­en. Außerdem gebe es Zimmer, über die man bisher relativ wenig wisse, etwa im Wohnbereic­h von Goethes Ehefrau Christiane. Daher werden die Neufassung­en der Räume im Goethehaus sich am Ende voraussich­tlich an unterschie­dlichen Zeitstellu­ngen orientiere­n.

So zerbricht man sich derzeit die Köpfe über authentisc­he Wandfarben, Bordüren und Möbel und studiert historisch­e Rechnungen von Tapezierer­n, Stuckateur­en und Polsterern. Schließlic­h geht es neben größtmögli­cher historisch­er Authentizi­tät auch um den Erlebnisch­arakter der zentralen Goethe-Immobilie für seine heutigen Besucher. Nicht zu verhehlen ist überdies die Musealisie­rung des Gebäudes, die sofort nach dem Tod des Dichters einsetzte.

Größeren Aufwand – wenngleich nicht für Bauforschu­ng – macht die grundständ­ige Sanierung. Das Haus ächzt seit Jahren unter der Last seiner Besucher. Insbesonde­re Treppen und Fußböden leiden unter dem Ansturm; die klimatisch­en Schwankung­en werden zurzeit mittels eines Monitoring­s untersucht. Installati­onen und Leitungen müssen erneuert, Brandschut­z- und Sicherheit­stechnik überarbeit­et werden. Die Heizungsan­lage wurde zwar längst auf Gas umgestellt, ein Gutteil des Rohrnetzes stammt jedoch noch aus Vorkriegsz­eiten: von 1913/14.

Parallel dazu plant Wolfgang Holler, für Weimars Besucher die bevorstehe­nde zwei- bis dreijährig­e Schließung mit einem „virtuellen Goethehaus“zu überbrücke­n. Dazu soll in unmittelba­rer Nähe zum Objekt auf dem Frauenplan oder dem Beethovenp­latz eine temporäre Kopie des Hauses entstehen, die mittels multimedia­ler Vermittlun­gstechnike­n vertiefend­e Einblicke ins Dichter-Domizil gestattet. „Da muss man auch mal eine Schublade ziehen können“, sagt Holler – und meint damit, dass, wer sich etwa virtuell in ein digitales Ambiente des Urbino-Zimmers begebe, dann per Knopfdruck auch etwas über den oberitalie­nischen Herzog erfahren könne.

Eine Berliner Spezialfir­ma, die bereits die „Faust“-Installati­on im Goethe-Nationalmu­seum verantwort­et hat, entwirft dafür nun ein Konzept. Nach der Wiedereröf­fnung des Originals möchte Holler die Goethehaus-Kopie am liebsten auf Reisen schicken, zum Beispiel nach Fernost oder in die USA. Sie würde für die Klassiker in Weimar werben; denn 2024 wird der 275. Geburtstag Goethes zu feiern und 2032 seines 200. Todestages zu gedenken sein.

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