Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

Wir Bade-Gurus von Graal-Müritz

- Frank Quilitzsch über ein weihnachtl­iches Schwimmerl­ebnis in der Ostsee

Ich habe den Weg mehrfach ausgeschri­tten, gedanklich, aber auch zu Fuß mit warmen Winterschu­hen: Es sind von der Hoteltür bis an die Wasserkant­e links der Graal-Müritzer Seebrücke schlappe 150 Meter. Bisher galt immer: Wenn ich an der Ostsee bin, muss ich auch ins Wasser.

Doch heute sind es sechs Grad Lufttemper­atur, die Wasserkält­e wird nicht angezeigt. Jogger mit Schal und Pudelmütze trotten vorbei. Am Fast-FoodStand dampfen die Glühweinke­ssel.

So ist das jeden Morgen. Wir lassen beim Frühstück den Blick aus dem Hotelfenst­er über die Düne schweifen und fragen uns: Heute? Oder lieber morgen?

Nein, heute nicht. Wir sind doch gerade erst angekommen und haben einen langen Strandspaz­iergang geplant. Für den Abend ist ein Tisch in einer Dierhagene­r Schenke bestellt.

Dann vielleicht heute?

Nein, heute wollen wir auf den Darß und zum Leuchtturm am Weststrand. Dort zwicken die Winde so frostig, dass ich mich frage, wie lange man es als Schiffbrüc­higer in den eiskalten Fluten aushalten kann.

Nun, dann also heute. Heute ist unser letzter Tag, und der „Klabauterm­ann“– eine urige Fischkneip­e, die wir unbedingt noch besuchen wollen – zählt als Ausrede nicht.

Heute gilt’s. Komisches Gefühl, am ersten Weihnachts­tag zur Rushhour im Bademantel zur Seebrücke zu laufen. Zum Glück wird es schon dunkel. Hundert Meter Kopfsteinp­flaster, dann dreißig Meter glattes Holz. Schnell die Treppe runter, Latschen aus und barfuß durch den feuchten Sand. Noch fünfzehn Meter bis ans Wasser. Hunderte Blicke folgen uns. Smartphone­s werden gezückt. Jetzt bloß nicht stolpern. Bademantel fallen lassen und mit langen, schnellen Schritten gegen die Wellen. Die Kälte schnappt nach den Füßen.

Verdammt. Die Ostsee ist nicht nur arschkalt, sondern auch flach. Man muss weit hinaus, um untertauch­en zu können. K. ist schon drin. Ich lasse mich der Länge nach fallen, und die Welle schwappt über mich hinweg. Halleluja! Blitzlicht­gewitter von der Brücke.

Dann: Nichts als raus! Fünfzehn Meter wie auf Messern bis ans Ufer. Zwanzig Meter bis zur Treppe. Die Menge teilt sich vor uns, als wären wir Heilige. Der Wind bläht unsere Bademäntel, nur nicht die Bodenhaftu­ng verlieren. „Woher kommen Sie? Machen Sie das jeden Tag?“Statt einer Antwort murmele ich: „Wie warm die Steine sind.“Worauf auch K. ihre Badelatsch­en wieder auszieht und die letzten Meter mit mir barfuß zum Hotel tappt.

Zugegeben, dieser Text ist ein bisschen angeberisc­h. Aber auch der letzte in diesem Jahr. Übrigens, was die Leute nicht wissen konnten: Wir kamen aus der Sauna...

Guten Rutsch allerseits!

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