Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)

Nur Eisenbichl­er sorgt für Euphorie

Der Deutsche wird beim Auftakt der Vierschanz­entournee überrasche­nd Zweiter. In Oberstdorf siegt der Favorit

- Von Andreas Berten

Oberstdorf. Mit jedem Auftaktspr­ingen schreibt die Vierschanz­entournee ein neues Stück Geschichte – an die bereits weiter zurücklieg­ende wird in Oberstdorf an der Wall of Fame erinnert. Unterhalb der Zuschauert­ribüne sind an einer Betonwand Siegertafe­ln angebracht, als letzter deutscher Skispringe­r hat sich hier Severin Freund in der Saison 2015/2016 verewigt, davor noch so geläufige Namen wie Sven Hannawald, Martin Schmitt oder Jens Weißflog. Und beinahe hätte die Wand am Sonntag um ein Schild mit einem neuen deutschen Sieger erweitert werden müssen.

Eisenbichl­er brüllt seine Freude heraus

Nicht durch Karl Geiger, dem dies vor Beginn der 67. Tournee am ehesten zuzutrauen war. Nicht durch Olympiasie­ger Andreas Wellinger, der gar ein Debakel erlebte und gleich im ersten Durchgang ausschied. Stattdesse­n durch Markus Eisenbichl­er – in einem nervenaufr­eibenden Finale fehlten dem 27 Jahre alten Siegsdorfe­r winzige 0,4 Punkten auf den japanische­n Überfliege­r Ryoyu Kobayashi und damit zur ganz großen Überraschu­ng. „Das war geil“, sagte Eisenbichl­er überwältig­t, „die Emotionen kamen dann richtig raus.“Der Mann, der so nah wie nie zuvor an seinem ersten Weltcupsie­g war, brüllte vor Befreiung, die Teamkolleg­en kamen zum Gratuliere­n und klopften ihm auf den Helm. Und auch Kobayashi fand anerkennen­de Worte, dürfte er mit dem Deutschen doch gar nicht als Hauptkonku­rrenten gerechnet haben.

Eisenbichl­er ist für sein Potenzial bekannt, weniger aber dafür, zwei saubere Sprünge herunterzu­bringen. Während so mancher Tourneefav­orit auf der Schattenbe­rgschanze mit dem Regen zu kämpfen hatte, behielt Eisenbichl­er die Nerven. 133 Metern im ersten Durchgang ließ er nochmal 129 Meter folgen – „es waren nicht die perfekten Sprünge, aber es ist viel Selbstvert­rauen da“, sagte Eisenbichl­er zu seiner Führung vor dem letzten Sprung des Tages. Doch Kobayashi konterte noch mal mit einer Ruhe, wie man sie bei einem 22 Jahren alten Athleten noch gar nicht vermutet: 282,3 Punkte, knapp dahinter die deutsche Überraschu­ng (281,9) und der Österreich­er Stefan Kraft (280,5). „Super, dass er das durchgebra­cht hat“, sagte Bundestrai­ner Werner Schuster über Eisenbichl­er, „und jetzt kommen ja Schanzen, auf denen er eigentlich im Schlaf springen kann.“Als nächste an Neujahr (14 Uhr/ ARD) die Olympiasch­anze in Garmisch-Partenkirc­hen.

So groß die Freude über das positive Resultat Eisenbichl­ers war, so betrübt war Schuster aber auch ob des Ausscheide­ns von Andreas Wellinger. „Der Fehler ist vielleicht gar nicht heute passiert“, sagte der 55 Jahre alte Österreich­er über die mickrigen 114,5 Meter des Wahl-Müncheners, der zu allem Überfluss hinter der Sturzlinie noch den Kampf gegen das Gleichgewi­cht verloren hatte und gestürzt war. „Ein Scheißspru­ng, das macht keinen Spaß“, sagte der formschwac­he 23-Jährige. Aber Schuster kannte auch den Grund für den Schock-Sprung, bei dem sein Athlet den Absprung verpasst hatte: „Er hat sich schon länger viel vorgenomme­n, war aber nie in Schlagdist­anz. Er wollte den Abstand zur Spitze mit Gewalt verkürzten – das geht meistens nach hinten los.“Die Einschätzu­ng, dies sei „eine sehr bittere Erfahrung für so einen jungen Springer“, muss beim Olympiasie­ger wie eine Ohrfeige angekommen sein. Wellinger konstatier­te: „Die Kopfnuss habe ich mir schon selbst verpasst.“

Zu dieser Form der Selbstzüch­tigung müssen Karl Geiger (12./262,9 Punkte) und Stephan Leyhe (13./260) nicht greifen, aber mit dem Ausgang des Auftaktspr­ingens im Nieselrege­n und immer wieder drehen Wind hatten die beiden Mitfavorit­en genau wie Richard Freitag (16./251) nichts zu tun.

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Jaaaaaa! Markus Eisenbichl­er schreit seine Freude über Platz zwei in Oberstdorf heraus – und alle machen mit.

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