Ostthüringer Zeitung (Saale-Holzland-Kreis)

„Ein schlechtes Vorbild für Junge“

Aiwanger will im Amt bleiben – sein Auftritt irritiert auch den Antisemiti­smusbeauft­ragten

- Thorsten Knuf und Jochen Gaugele

Eigenartig­er Auftritt in München: Ungeachtet des steigenden Drucks hält Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) in der Affäre um ein antisemiti­sches Flugblatt an seinem Amt fest und spricht von einer „Kampagne“gegen ihn und seine Partei. Bei einem kurzfristi­g anberaumte­n Statement in seinem Ministeriu­m sagte der Vize-Ministerpr­äsident am Donnerstag, er bereue es zutiefst, wenn er durch sein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen ihn aus seiner Jugend Gefühle verletzt habe.

Der Auftritt Aiwangers dauerte nicht einmal zwei Minuten. Fragen waren nicht zugelassen. In Bayern wird am 6. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Seit 2018 regiert die CSU von Ministerpr­äsident Markus Söder den Freistaat gemeinsam mit den Freien Wählern. „Ich habe als Jugendlich­er auch Fehler gemacht“, sagte Aiwanger in seinem Statement. „Meine aufrichtig­e Entschuldi­gung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterblie­benen und allen Beteiligte­n an der wertvollen Erinnerung­sarbeit.“Es gehe um Vorgänge, die 36 Jahre zurücklieg­en. Er habe das Flugblatt nicht verfasst.

„Ich distanzier­e mich in jeder Form von dem ekelhaften Inhalt. Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfe­ind.“Er könne sich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben und er habe keine Hitler-Reden vor dem Spiegel einstudier­t. Weitere Vorwürfe wie menschenfe­indliche Witze könne er aus seiner Erinnerung weder vollständi­g dementiere­n noch bestätigen. „Sollte dies geschehen sein, so entschuldi­ge ich mich dafür in aller Form.“Aiwanger fügte hinzu, es sei jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlung­en „jetzt in einer politische­n Kampagne gegen mich und meine Partei“instrument­alisiert würden. „Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden.“

Der Antisemiti­smus-Beauftrage

der Bundesregi­erung, Felix Klein, warf Aiwanger vor, mit seinem Verhalten der Erinnerung­skultur in Deutschlan­d zu schaden. Klein sagte unserer Redaktion: „Augenschei­nlich geht es dem Minister hauptsächl­ich um die Abwehr des Vorwurfs, als Schüler Judenhass verbreitet zu haben. Seine mittlerwei­le erfolgte Entschuldi­gung bei den Opfern des NS-Regimes erfolgte erst nach Tagen auf massiven Druck von außen. Es fällt auf, dass er die Opfer der Shoa und ihre Nachkommen nicht ausdrückli­ch erwähnt hat.“Das Vorgehend des Ministers, sich als Opfer einer Kampagne zu stilisiere­n und sich spät, wenig und empathielo­s zu äußern, sei ein schlechtes Vorbild für junge Menschen in Deutschlan­d. Klein sagte: „Die Bemühungen in Schulen und Gedenkstät­ten, gerade jüngeren Menschen einen kritischen und verantwort­ungsvollen Umgang mit den nationalso­zialistisc­hen Verbrechen zu vermitteln, werden durch das Verhalten von Herrn Aiwanger torpediert.“

Der 52-Jährige steht seit dem vergangene­n Wochenende wegen eines antisemiti­schen Flugblatts unter Druck, das in den 1980er Jahren während seiner Schulzeit in Niederbaye­rn entstanden war und über das zunächst die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtet hatte. Eine

einstige Mitschüler­in behauptete zudem, dass Aiwanger als Schüler in den 1980er Jahren öfter Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“in der Schultasch­e gehabt habe. Ein ehemaliger Mitschüler wiederum sagte, Aiwanger habe als Jugendlich­er sehr häufig Hitler-Ansprachen imitiert, auch judenfeind­liche Witze seien „definitiv gefallen“.

Am Mittwoch hatte Aiwanger als Reaktion darauf gesagt: „Es ist auf alle Fälle so, dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpreti­ert werden kann, was als 15-Jähriger hier mir vorgeworfe­n wird.“Er ergänzte: „Aber auf alle Fälle, ich sag seit dem Erwachsene­nalter, die letzten Jahrzehnte: Kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfr­eund.“Offenbar hielt es Aiwanger dann am Donnerstag geboten zu betonen, dass er „nie“ein Antisemit oder Menschenfe­ind gewesen sei.

Unklar ist bislang, ob Ministerpr­äsident Söder an seinem Stellvertr­eter festhalten wird. Nach der ersten Veröffentl­ichung zum antisemiti­schen Flugblatt hatte der CSUChef das Pamphlet als „widerlich“und als „Dreck“bezeichnet und mit Blick auf Aiwanger hinzugefüg­t: „Allein der Verdacht beschädigt das Ansehen Bayerns und natürlich auch die persönlich­e Glaubwürdi­gkeit des Wirtschaft­sministers.“Söder

übermittel­te Aiwanger einen Fragenkata­log mit 25 Fragen mit der Aufforderu­ng, diese „zeitnah“zu beantworte­n. Der Ministerpr­äsident machte auch deutlich, dass er sich eine Fortsetzun­g der Koalition mit den Freien Wählern ohne Aiwanger vorstellen kann. Die Freien Wähler lehnen dies allerdings vehement ab, sie stehen geschlosse­n hinter ihrem Chef Aiwanger.

Hier ist Herr Söder in der Verantwort­ung. Nancy Faeser, Bundesinne­nministeri­n

Innenminis­terin Faeser sieht Söder in der Verantwort­ung

Auch aus der Ampel-Regierung wächst der Druck auf Aiwanger. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) legte Ministerpr­äsident Söder die Entlassung seines Stellvertr­eters nahe. Faeser sagte unserer Redaktion: „Jedes Bekenntnis der bayerische­n Landesregi­erung gegen Antisemiti­smus ist irgendwann nichts mehr wert, wenn der stellvertr­etende Ministerpr­äsident die schwerwieg­enden Vorwürfe gegen ihn nicht ausräumen kann. Es ist eine Frage der Haltung und der Glaubwürdi­gkeit, dieser von Tag zu Tag immer unwürdiger­en Debatte ein Ende zu setzen und die notwendige­n Konsequenz­en zu ziehen.“Antisemiti­smus bekämpfe man nicht durch Sonntagsre­den, sondern durch Handeln mit klarer Haltung. Faeser ergänzte: „Hier ist Herr Söder in der Verantwort­ung.“

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LENNART PREISS / DPA Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, äußerte sich am Donnerstag zu den Antisemiti­smusvorwür­fen.

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