Ostthüringer Zeitung (Saale-Holzland-Kreis)
Schleuser werden skrupelloser
Illegale Einreisen nach Deutschland nehmen stark zu. Viele der Flüchtlinge werden an der deutsch-tschechischen Grenze einfach ausgesetzt
Breitenau. Die Flucht nach Europa endet für vier junge Leute auf dem Rastplatz Am Heidenholz an der Autobahn 17. Kurz hinter der deutsch-tschechischen Grenze in Richtung Dresden hat eine Streife der Bundespolizei den BMW mit französischem Kennzeichen entdeckt. Die Insassen haben türkische Pässe und Aufenthaltstitel für Dänemark, einen Führerschein hat der Fahrer nicht. Das Dokument für Dänemark ist gefälscht. Später gibt einer zu Protokoll, es in Serbien erworben zu haben. Das Auto wurde ihnen vom Schleuser dort zugeteilt.
Es ist nicht der klassische Fall einer Schleusung, den die Beamten der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel
an diesem Tag zu bearbeiten haben. Normalerweise setzen Schleuser ihre „Kunden“unweit der Autobahn ab und flüchten dann selbst – zurück nach Tschechien. Die jungen Türken – zwei Frauen und zwei Männer – sind auf eigene Faust gekommen. Nun stellen sie ein Schutzersuchen.
„Schleusungen sind ein ganz schmutziges Geschäft. Hier geht es nicht um Menschen. Hier geht es nur ums Geldverdienen. So viel wie möglich und so schnell wie möglich. Welche Zustände auf der Ladefläche herrschen, interessiert den Schleuser nicht“, sagt Steffen Ehrlich, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel. Pro PerLaut son müssten Geflüchtete für die letzte Etappe nach Deutschland hohe dreistellige oder sogar vierstellige Beträge aufbringen. Manchmal koste eine Flucht vom Herkunftsland bis zum Ziel sogar 10.000 Euro und mehr.
Ehrlich werden Fahrer abhängig von der Anzahl der Geflüchteten entlohnt. Deshalb sei das Interesse groß, so viele wie möglich auf einen Schlag zu transportieren. „Erst in der vergangenen Woche fanden wir zehn Menschen in einem Pkw.“Die Schleuser arbeiteten sehr strukturiert und seien oft europaweit vernetzt. Mit Videos würden sie für ihre Dienste in sozialen Medien werben und „Reisen“nach Deutschland anbieten – wie „kriminelle Reisebüros“.
Polizeioberkommissarin Jana Kletzsch sagt: „Vom Bauchgefühl her sind es mehr Flüchtlinge als 2015. Und auch die Umstände sind anders. Die Schleuser werden immer skrupelloser, die Schleusungen gefährlicher.“Damals hätten sich die Schleuser meist ergeben, wenn man sie auf frischer Tat gestellt habe. Jetzt flüchteten sie in hohem Tempo und gefährdeten das Leben der Insassen. Für Jana Kletzsch ist der schlimmste Moment, wenn sie nach einer Verfolgung die Türen des Fahrzeuges öffnet. Mitunter seien 20 Leute eingepfercht. „Sie stehen dort über Stunden in ihren Ausdünstungen, ihnen fehlt Sauerstoff, sie können nicht auf Toilette. Die Notdurft muss in Flaschen verrichtet werden. Man ist froh, wenn alle noch am Leben sind.“
Die meisten Flüchtlinge, die im Umfeld der Autobahn 17 aufgegriffen werden, stammen aus Syrien, viele auch aus der Türkei. Anders als früher kämen die Schleuser heute oft aus der Ukraine, der Türkei und Syrien. Derzeit sitzen etwa 60 Schleuser in Untersuchungshaft, die von Beamten der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel gestellt wurden. Die Bundespolizeidirektion Pirna hat in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von Januar bis Ende Juli 13.479 unerlaubte Einreisen festgestellt. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 5775, im gesamten Jahr 20.550. In Sachsen wird deshalb der Ruf nach temporären Grenzkontrollen – so wie an der Grenze zwischen Österreich und Bayern – stärker.