Ostthüringer Zeitung (Saale-Holzland-Kreis)
Die letzte Reise
Zum Tod des serbischen Schriftstellers und Buchenwald-Überlebenden Ivan Ivanji
Sein Schicksalsort. So hat Ivan Ivanji Weimar oft genannt. Ein Schicksalsort, den er sich nicht ausgesucht, aber angenommen hatte.
Er war ein Junge von 15 Jahren, als man ihn an einem Junitag 1944 durch das Tor von Buchenwald trieb. Hinter ihm lag die behütete Kindheit im serbischen Banat. Seine Eltern, ein jüdisches Ärztepaar, lebten schon nicht mehr. Den Vater hatten die Deutschen erschossen, die Mutter vergast im Laderaum eines Lastwagens. Aber das wusste er damals noch nicht.
Jahrzehnte später kam er als Dolmetscher des jugoslawischen Außenministers nach Weimar und an den Ort, den er immer nur „den Berg“nannte. Als die Kolonne stockte und deutsche Rufe über den „Berg“hallten, erinnerte er sich, zuckte er zusammen.
„Aschenmensch von Buchenwald“beunruhigte die Gegenwart
Das dritte Mal führte ihn die Bitte des Westdeutschen Rundfunks über Buchenwald zu schreiben und seitdem war er regelmäßiger Gast der Stadt, deren Vergangenheit und Gegenwart er in einigen seiner Bücher auslotete. Nach Imre Kertész, Jorge Semprún, Bruno Apitz ging mit Ivan Ivanji der letzte Überlebende von Buchenwald, der seine Erinnerungen literarisch verarbeitete.
Er ersann den „Aschenmenschen von Buchenwald“, ein mystisches Geschöpf aus der Asche von 700 Häftlingen, deren Urnen man 1997 im Gebälk des einstigen Krematoriums fand. Ein Golem, der die Gegenwart der Stadt mit Erinnerungen beunruhigte. In „Buchstaben von Feuer“schlug er einen Jahrhundertbogen von Buchenwald bis in das Jugoslawien der 90er, erzählte im Eigentlichen über Schicksalsmomente, die einen Menschen zum Helden machen oder zum Feigling. Zum Opfer oder zum Täter. „Mein schönes Leben in der Hölle“, seine Lebensgeschichte, nannte er einen Roman, weil er den Erinnerungen nicht immer traute. Es gibt Leerstellen, Ungewissheiten, Bilder, die sich überlagern und ein Roman, sagte er einmal, erlaube Freiheiten gegen diese Tücken.
Er wolle, hat er einmal gesagt, mit seinen Büchern nicht belehren, sondern Geschichten erzählen. Was der Leser mit ihnen macht, sei ihm überlassen. Eine Lakonie, die man oft von ihm hörte. „Ich mag das Jammern nicht.“Das war so ein typischer Ivanji-Satz.
Wenn ihm etwas fern lag, dann war es Pathos. Ironie, Selbstironie und das Lakonische waren ihm immer näher. So erlebte man ihn in Begegnungen, auf Lesungen, so schuf er die Helden seiner Bücher.
Verbunden mit einem tiefen Verständnis für menschliche Sehnsüchte,
Schwächen und Eitelkeiten. Und mit einer Liebe zum Leben. Wozu überleben, wenn danach nur noch Schmerz ist?
Und er war streitbar, nie ein Freund leerer Gedenkrituale. Erwartbare Antworten waren von ihm nicht zu haben. Wenn man ihn nach der Vergangenheit fragte, war er schnell in der Gegenwart. Bei den Entwicklungen in seiner Heimat, die ihm Sorgen bereiteten, bei Ausgrenzungen und Stereotypen gegenüber Menschen, nur wegen ihrer Herkunft oder Religion, beim Aufwuchs des Nationalismus in Europa. Bei den Ertrunkenen im Mittelmeer. Bei der Empathie für diejenigen, die jetzt leiden, die er einforderte als Konsequenz aus den Erfahrungen des Gestern.
Das Credo eines Menschen, der Auschwitz und Buchenwald durchlitt.
Diplomat, Titos Dolmetscher und rastloser Autor
Er war Diplomat, hat für Tito gedolmetscht, Grass, Brecht und Böll ins Serbische übersetzt. Und er hat geschrieben mit einer Energie, wie sie vielleicht tatsächlich der Hunger nach Leben gebiert, wenn man in den Abgrund geblickt hat.
Der „Berg“, wo sein Nachlass verwaltet wird, holte ihn immer wieder ein, aber es gab viele andere Themen. Er schrieb Kriminalromane, Politthriller, eine Trilogie über die römischen Kaiser, sie war ihm immer wichtig.
Er habe, sagte er in seinem letzten Sommer in einem Gespräch, noch Stoff für mindestens 20 Bücher in seinem Kopf. Im Januar, kurz vor seinem 95. Geburtstag, war er gerade dabei, sein Buch zu vollenden, das sein letztes wurde. Über Jugoslawien und seinen Blick darauf. Ein „rutschiges Pflaster“, er freue sich auf die Diskussionen, hatte er gesagt. Und auf den Mai verwiesen, wenn er wieder in Weimar erwartet werde.
Am Mittwoch hatte er noch an der Eröffnung des Museums für Zwangsarbeit teilgenommen. In der Nacht darauf starb Ivan Ivanji. Als habe eine höhere Macht beschlossen, ihn auf seiner letzten Reise ausgerechnet an diesen Schicksalsort zu führen. Ihm hätte das womöglich ein leises Lächeln entlockt.