Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)
Der Mann, der Europa sprengte
sehr gut. Sie beschert ihm eine absolute Mehrheit und nimmt ihm jedes Alibi, um das Referendum auf die lange Bank zu schieben. Cameron hat aber immer noch die Freiheit, den perfekten Termin und eine günstige Strategie festzulegen sowie die richtigen Verbündeten zu finden.
Seine Kampagne ist als Flucht nach vorn angelegt. Es hätte gut ausgehen können. Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt das. Den Termin legt der 49-Jährige im Februar fest, noch während der Flüchtlingskrise, die auch die britische Gesellschaft umtreibt und von den Befürwortern eines Ausstiegs aus der EU prompt instrumentalisiert wird. Ebenfalls im Februar erhält Cameron eine verhängnisvolle SMS: Der prominenteste Politiker des Landes, Boris Johnson, schlägt sich auf die Seite der Brexit-Anhänger. Cameron hatte versucht, den Parteifreund einzubinden, ihm sogar Posten angeboten. Vergeblich.
Aus einer anspruchsvollen Sachfrage wird ein Machtkampf. In London können sich die meisten Beobachter Johnsons Engagement nur als Mittel zum Zweck erklären: Er will Cameron eine Niederlage beibringen, seinen Sturz herbeiführen, um selbst Premier zu werden. Bisher passt das Kalkül. Beides zusammen – die Frage der Flüchtlinge, Johnsons Gegnerschaft – dürften ihm Stimmen gekostet haben.
Cameron selbst hatte zu Europa stets ein taktisches Verhältnis. Mal bediente er die Euroskepsis, mal mahnte er, „Stop banging on Europe“(„Hört auf, auf Europa einzuschlagen, es schlecht zu machen“). Ein „Herzensanliegen“ ist Europa nicht. Taktisch bleibt Cameron durchaus authentisch. Sein Plan ist es nämlich, eine Liste von Reformforderungen an die Union aufzustellen, robust in Brüssel aufzutreten und so die EU-Skeptiker zu besänftigen. Sie sollen glauben, sie würden eingebunden. Klingt genial. Ist aber dumm. Denn: Der Premier kann unmöglich alle Ziele erreichen – die Euroskeptiker aber ihrerseits die Latte beinahe beliebig hochlegen.
Letztlich ist Camerons Scheitern ein Lehrbeispiel. Über einen, der auszog, ein kurzfristiges innenpolitisches Problem zu lösen – wenig Rückhalt in seiner Partei –, ohne Folgen von historischer Tragweite zu beachten. Cameron hat Europa gesprengt, womöglich aus Versehen.
Kein schönes Urteil.