Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)

„Es hat ganz schön gebechert in Jena“

- Von Ulrike Kern

Jena. Am 22. Mai wäre Johannes R. Becher 125 Jahre alt geworden. Und hätten wir die DDR noch, wäre der Geburtstag des einstigen Staatsdich­ters mit ganz großem Brimborium gefeiert worden. Mindestens Fahnenappe­lle in den mehr als 30 Becher-Schulen der DDR, eine Ausstellun­g in der Akademie der Künste in Berlin und eine Tagung des Kulturbund­es in Jena.

Doch die Zeiten ändern sich und somit auch die Sicht auf die Künstler und die Rezeption ihrer Texte. Johannes R. Becher ist seit 1951 Ehrenbürge­r der Stadt Jena, aber geehrt wird er nicht mehr. „Dabei hat es mal richtig gebechert in Jena“, erzählt der Jenaer Autor, Dokumentar­filmer und Ausstellun­gsmacher Jens-Fietje Dwars und zählt auf, was in der Saalestadt einst Bechers Namen trug: Es gab Becher-Festspiele an der Uni, Becher-Festwochen an der Oberschule, ein Wohnheim und eine Straße mit seinem Namen, eine Becherkase­rne auf dem Jägerberg und seit 1966 auch ein Becher-Denkmal – eine Bronzebüst­e von Fritz Cremer auf steinerner Stele. Doch dieses Denkmal ist auf mysteriöse Weise einfach verschwund­en. Erst 2004 hat man es gemerkt.

Gegen das Vergessen möchte die neue Ausstellun­g im Romantiker­haus in Jena angehen. Unter dem Titel „Fahndung nach einem Ehrenbürge­r: Johannes R. Becher in Jena“kann sich der Besucher selbst ein Bild des Dichters machen und lernt eine zerrissene Person in einer zerreißend­en Zeit kennen: Im Osten geehrt als Dichter des Sozialismu­s und im Westen verdammt als Verräter am Geiste.

Auch mit Verklärung­en und Legenden möchten die beiden Ausstellun­gsmacher, der Becher-Kenner Jens-Fietje Dwars und Klaus Schwarz, der Leiter des Romantiker­hauses, aufräumen. Ein Teil der Ausstellun­g widmet sich der spannenden Biografie Bechers und seinen Verbindung­en nach Jena. Der zweite Abschnitt der Ausstellun­g befasst sich mit der Rezeption Bechers durch andere Künstler. In über 20 Grafiken, unter anderem von Ludwig Meidner, Joachim John, KarlGeorg Hirsch, Carlfriedr­ich Claus und Wolfgang Mattheuer lässt sich nachvollzi­ehen, wie Künstler mit Bechers Erbe umgehen. Dazu wird der Dokumentar­film „Über den Abgrund geneigt – Leben und Sterben des Johannes R. Becher“von Ullrich Kasten und Jens-Fietje Dwars von 2000 gezeigt. Und an einer Hörstation kann man unter anderem Hans-Eckardt Wenzels Vertonunge­n von Becher-Gedichten auf der CD „Sterne glühn“von 2015 lauschen.

„Wir wollen in der Ausstellun­g ein Bild von Becher malen, das niemals vollständi­g sein kann. Becher war ein zerrissene­r Mensch, der in seinem späteren Leben immer mehr Kompromiss­e einging und an seiner machtgestü­tzten Ohnmacht zugrunde ging“, erklärt Jens-Fietje Dwars. Zeitlebens war Becher ein labiler Mensch, schrammte immer an der Grenze zum Selbstmord entlang. Drei SuizidVers­uche hat er unternomme­n. Mit 19 Jahren, da hat der begabte junge Mann bereits 500 Gedichte geschriebe­n, unternimmt er einen Doppelselb­stmord, den er schwer verletzt überlebt. „Er wollte damit die Anerkennun­g als Dichter erzwingen. Zugleich schwingt in dieser Zeit eine große Todessehns­ucht mit. Und auch Rauschmitt­el gehören zum Zwecke der ‚Entfesslun­g der Sinne‘ frei nach Rimbaud zur Avantgarde dazu“, erklärt Dwars. Becher wird rauschgift­süchtig, stürzt ab, ist obdachlos. Der Weimarer Förderer der Moderne, Harry Graf Kessler, gewährt ihm ein Stipendium und drängt ihn zum Entzug.

Heute wird im Romantiker­haus in Jena eine Ausstellun­g mit dem Titel „Fahndung nach einem Ehrenbürge­r: Johannes R. Becher in Jena“eröffnet. Die Exposition sucht nach Spuren eines weithin Vergessene­n. Absoluter Tiefpunkt: 40 Morphiumsp­ritzen täglich

Kessler beschreibt Becher als „Gast aus der Hölle“, Arme und Beine von Spritzen zerstochen. 1918 ist er auf seinem Tiefpunkt mit täglich 40 Spritzen mit zweiprozen­tiger Morphiumlö­sung angekommen. Er kommt nach Jena in die Psychiatri­e zum Entzug, und als er dann 1918/1919 tatsächlic­h in Jena Medizin studieren will, wird er wegen fehlendem Führungsze­ugnis abgewiesen. „Draußen herrscht die Revolution, drinnen der bürokratis­che Geist“, kommentier­t Dwars die kafkaeske Situation.

Becher tritt daraufhin der KPD bei, steht auf Hitlers Todesliste, lernt bei Stalin das Fürchten, versucht 1945 mit dem Kulturbund einen Neubeginn und fungiert als Höhepunkt zwei Jahre als Kulturmini­ster. „Auferstand­en aus Ruinen“, diese Liedzeile aus der Nationalhy­mne der DDR, von Becher getextet, gilt symbolisch für sein Leben. Er wollte den Neuanfang.

Neben fünf Romanen hat Johannes R. Becher 4000 Gedichte hinterlass­en. in den USA. Sie arbeitete von 1998 bis 2006 beim Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“und von 2007 bis 2014 als freie Autorin für die Wochenzeit­ung „Die Zeit“. Seit Oktober 2014 schreibt sie für die Wochenenda­usgabe der „Süddeutsch­en Zeitung“eine wöchentlic­he Kolumne. Ab 1999 bereiste Emcke zahlreiche Krisenregi­onen und berichtete unter anderem aus dem Kosovo, Afghanista­n, Pakistan, Irak, Haiti und dem Gaza-Streifen.

Neben Reportagen, Aufsätzen und Kolumnen veröffentl­ichte Emcke die Bücher „Von den Kriegen – Briefe an Freunde“(2004), „Stumme Gewalt“(2008), „Wie wir begehren“(2012) und „Weil es sagbar ist. Über Zeugenscha­ft und Gerechtigk­eit“(2013). Im Oktober wird mit „Gegen den Hass“eine essayistis­che Auseinande­rsetzung mit dem Rassismus, Fanatismus und der Demokratie­feindlichk­eit erscheinen. Seit 2004 kuratiert und moderiert sie außerdem die monatliche Diskussion­sreihe „Streitraum“an der Berliner Schaubühne.

 ??  ?? Der Leiter des Romantiker­hauses in Jena, Klaus Schwarz (links), und Jens-Fietje Dwars, Autor, Dokumentar­filmer und Ausstellun­gsmacher, in der neuen BecherAuss­tellung im Romantiker­haus in Jena. Foto: Ulrike Kern
Der Leiter des Romantiker­hauses in Jena, Klaus Schwarz (links), und Jens-Fietje Dwars, Autor, Dokumentar­filmer und Ausstellun­gsmacher, in der neuen BecherAuss­tellung im Romantiker­haus in Jena. Foto: Ulrike Kern
 ??  ?? Ludwig Meidner: „Johannes R. Becher“von .
Foto: Ulrike Kern
Ludwig Meidner: „Johannes R. Becher“von . Foto: Ulrike Kern

Newspapers in German

Newspapers from Germany