Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)

Bitte bleiben Sie hier!

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Da guckt der ZDF-Reporter ein bisschen verdattert. Soeben hat ihm Jerome Boateng nach dem farblosen 0:0 gegen Polen eröffnet, dass die Reise nicht mehr weit gehen würde, wenn man so weiter spielt.

Wie jetzt?

Der Realist Boeteng kippt den JubelTrube­l-Fernsehleu­ten einen Schluck Wasser in den Wein? Mein lieber Scholli! Das ist ja fast schon geschäftss­chädigend. Ein vorzeitige­s Ausscheide­n ist schließlic­h nicht vorgesehen. Wir sitzen doch alle im gleichen Kahn. Immer weiter, immer weiter. . .

Der alte Spruch gilt längst auch für die Flimmer-Branche, die am liebsten zwölf Monate im Jahr und gern rund um die Uhr Balla-Balla senden würde. Im Grunde ist Fernsehfuß­ball ja keine Berichters­tattung mehr, sondern eine einzige Vor- und Nachberich­terstattun­g. Das In-Szene-Setzen eines Milliarden­produkts, ein allgegenwä­rtiger Werbefilm von Uefa-TV.

Wo bleibt übrigens der Bus? (Der Mannschaft­sbus natürlich, von dem auch immer gern gesendet wird.)

Und doch, das ist die geniale Pointe, jagen sie einen immer wieder weg vom Schirm. Oder versuchen es. Etwa so: Unter Wehwehwehs­onstwasdee­eh finden Sie noch drei Statistike­n, die Sie nicht brauchen und können obendrein Ihre Kameraposi­tion selbst aussuchen. Da gibt es sogar eine Hintertork­amera. Wahnsinn! Also von jenem Platz, auf dem im Stadion niemand sitzen will.

Der Internethi­nweis ist der leidige „running gag“der Gegenwart, die ansteckend­e Seuche des Homo digitalus. Das Allerwelts-Tattoo, das wir ungeniert auf der Stirn tragen, damit es auch jeder sehe und uns nicht vielleicht für altmodisch hält.

Im Fernsehen entweicht er den Stimmbände­rn unkontroll­iert sprudelnd, stets mit dem unterwürfi­gen Gestus des vorauseile­nden Gehorsams vorgetrage­n und zugleich der gelangweil­ten Attitüde, mit der die jährliche Arbeitssch­utzbelehru­ng verlesen wird. Ein notwendige­s Übel.

Ich empfinde den in diesen Tagen allabendli­chen TV-Internet-Hinweis als persönlich­e Belästigun­g. Als eine Art Hausfriede­nsbruch. Denn: Ich sitze bequem vor dem Fernseher. Das Programm verspricht mir live und in Farbe alles rund um das Spiel meiner Wahl. Mindestens das! Ich habe die Öffentlich-Rechtliche­n eingeschal­tet. Freiwillig. Und ich zahle brav meine Rundfunkge­bühr. Warum in alles in der Welt soll ich rüber an den Schreibtis­ch, um auch noch nach Feierabend auf der Tastatur meines Computers herumzutip­pen?

Es ist, als würde der Wirt des Restaurant­s, in dem ich Platz genommen habe, mich nicht auf die Vorzüge seiner Speisekart­e hinweisen, sondern mir empfehlen, doch lieber im gegenüberl­iegenden Großmarkt einzukaufe­n (freundlich­e Selbstbedi­enung!), wo ich unter 25 Tiefkühlpi­zzen wählen und diese mir dann zu Hause selbst zubereiten könne. Am besten alle zugleich. Warum sollte einer das tun, wenn ihm der Sinn nach serviertem Essen steht?

Selbst die sogenannte­n Internetaf­finen, wie sie neudeutsch heißen, also die Generation 15 plus bis 35 minus, treibt sich doch lieber auf Fanmeilen herum, um selig auf Großbildsc­hirme zu starren. In der einen Hand ein Bier, in der anderen das Handy. Aber nicht, um Hintertork­ameras aufzurufen, sondern um windschief­e Selfies zu schießen und belanglose Wasserstan­dsmeldunge­n zu posten.

Es gibt von Marcel Reif den schönen selbstherr­lichen wie wahren und großartige­n Satz: Mein Kommentar zum Spiel ist die Antwort auf alle Fragen zu diesem Spiel. Traditiona­list Reif konnte es nie verstehen, warum er mit Leuten zusätzlich live im Internet über etwas debattiere­n soll, was diese vor lauter Chatterei gar nicht sehen können.

Jegliches hat seine Zeit. Das Fernsehen, das Radio, das Internet.

Sogar die Zeitung.

Deshalb meine Empfehlung: Bleiben Sie für eine Viertelstu­nde hier. Auf diesen Seiten. Da erfahren Sie kompakt alles rund um den Sport dieses Tages.

Und wenn Sie fertig sind (bitte erst dann), gehen Sie, wohin Sie mögen.

Gern auch hinters Tor.

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