Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)
Deutschlands K.o.-Spieler
niederstrecken kann. Die Phase, in der Helden gemacht werden, wenn es sein muss, auch im Elfmeterschießen. Torhüter sind dann oft Helden. „In den K.o.-Spielen herrscht eine ganz andere Drucksituation“, sagt Neuer, der Mann, der seit drei Jahren als Welttorhüter firmiert. Druck, der ihn scheinbar stets noch besser werden lässt. Neuer ist Deutschlands K.o.-Spieler.
Das ist spätestens seit der WM in Brasilien amtlich. Als dort die entscheidende Turnierphase begann, wankte der hohe Favorit gegen die tapferen Algerier. Neuer war es, der seine Vorderleute vor Treffern bewahrte, in dem er den Gegenspielern selbst an der Außenlinie den Ball vom Fuß grätschte. Damals rettete er nicht nur den Sieg, sondern revolutionierte – ganz nebenbei – das Torwartspiel. Überall auf der Welt sahen die Menschen plötzlich, dass Torhüter nicht mehr nur Bälle fangen müssen. „Nicht jeder außerhalb Deutschlands kannte bis dahin meine Spielweise. Das war eine andere Plattform“, erinnert sich Neuer an die Partie zurück. Die Weltmesse des Fußballs hatte ein neues Produkt vorzuführen: Manu, den Libero.
Etwaige weitere Trends auf der Linie treten beim kontinentalen Kräftemessen in Frankreich bislang nicht sichtbar zu Tage. Die Torhüter stehen weniger im Fokus als noch 2014, als vor allem in der Vorrunde die Keeper in Serie grotesk patzten.
Ohne Gegentreffer durch die Vorrunde
Neuer, als Souverän seiner Zunft, ist am Freitag gefragt worden, wie er die Leistung seiner Berufskollegen beurteile. Das wirkte, als schwebe er weit über allen anderen. Neuer antwortete, dass er eine „gute Qualität“ausgemacht habe. Einschneidendes hat sich auf der Linie noch nicht getan. Aber die Zeit der Keeper kommt jetzt erst, da Sieger ermittelt werden müssen und ein 0:0 nicht reicht. Viele Mannschaften agierten bisher vor allem defensiv, selbst die deutsche legt größten Wert auf Gegentorlosigkeit. „Die Null muss stehen. Wir haben viel investiert, um sicher zu verteidigen“, sagt Neuer.
Das ist auch daran zu erkennen, dass er bislang kaum hat eingreifen dürfen oder müssen. Seine letzte ernsthafte Parade war im ersten Spiel gegen die Ukraine.Er ist in drei Spielen ohne Gegentreffer geblieben. Zählt man Viertelfinale (1:0 gegen Frankreich), Halbfinale (7:1 gegen Brasilien) und Finale (1:0 n.V. gegen Argentinien) der WM dazu, hat er in den vergangenen sechs Turnierspielen nur einen Treffer hinnehmen müssen. Ein enormer Wert. Einen Titelträger ohne Gegentor im Turnier gab es noch nie. Ob das ein Anreiz ist? „Wir sind keine Rekordjäger. Wir versuchen erfolgreich zu sein. Aber das eine schließt das andere nicht aus“, so Neuer .
Algerien, das Achtelfinale der WM, hat offenbar etwas ausgelöst. „Das war eine Initialzündung“, erinnert sich Neuer. „Die gleiche Wirkung erhoffe ich mir von einem klaren Sieg am Sonntag“, sagt der 30-Jährige. Bis zu diesem Moment seien die Ergebnisse Pflicht, bilanziert er und blättert den sportlichen Geschäftsbericht seiner Mannschaft mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes aus der Chefetage durch: „Wir sind im Soll. Wir haben gezeigt, dass wir eine Mannschaft sind, die sich auf den Punkt konzentrieren kann. Wir wissen, was jetzt verlangt wird.“
Bislang hat Neuer die Mannschaft als Kapitän aufs Feld geführt. Eine Auszeichnung ist das für ihn, das schon. Aber am Ende ist das für ihn nicht entscheidend. Für den Fall, dass Mittelfeld-Stratege Bastian Schweinsteiger in den kommenden Partien zurückkehrt, wird er also die Armbinde gern weiterreichen. Dann wird Neuer wieder das tun, was er besser kann als alle anderen auf der Welt: Bälle halten und gegnerische Angriffe abwehren. Das scheint zumindest für ihn deutlich einfacher zu sein, als sich gegen diese kleinen lästigen Pollen zu wehren.