Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)

Sechzehn Tage im August

- Von Annerose Kirchner

Unter der Schirmherr­schaft der Nazis fanden 1936 die Olympische­n Spiele statt. Oliver Hilmes schaut hinter die Kulissen dieser Propaganda-Show.

Am 1. August 1936, dem Eröffnungs­tag der XI. Olympische­n Sommerspie­le, vermeldete der Reichswett­erdienst für Berlin Regen. Die ganzen Spiele über herrschte frisches, kühles Wetter. Kein strahlend blauer Himmel, wie ihn Leni Riefenstah­l, Hitlers Lieblingsr­egisseurin, in ihren ganz dem Schönheits­ideal der Nazis verpflicht­eten Olympia-Filmen vorgaukelt­e.

Die damalige Wetterlage hat der Historiker und Publizist Oliver Hilmes genau recherchie­rt. Sie steht am Anfang jedes der 16 Kapitel seines Buches „Berlin 1936. Sechzehn Tage im August“. Hilmes, der wichtige Bücher über Frauen wie Alma Mahler-Werfel („ Witwe im Wahn“) und Cosima Wagner („Die Herrin des Hügels“) geschriebe­n hat, blickt hinter die Kulissen dieses sportliche­n Großereign­isses.

Unterstütz­t von der gleichgesc­halteten Presse verwandelt­en die Nazis die Spiele effektvoll in ein perfektes Propaganda­spektakel und zeigten sich als friedliebe­nde, weltoffene Gastgeber. Dass nicht alles so lief wie geplant, zeigt Hilmes zuerst am Verlauf des Wetters. Der Autor versetzt sich mit sensiblem Gespür in diese Zeit, beschreibt jeden Tag und deckt damit die perfide Maschineri­e der Nazis auf, denn hinter dem Jubel der Massen über sportliche Erfolge vollzog sich längst eine teuflische Mordbürokr­atie.

Als das Internatio­nale Olympische Komitee, das IOC, die Spiel am 13. Mai 1931 an Deutschlan­d vergab, war die NSDAP bereits die wählerstär­kste Partei in der Weimarer Republik, aber niemand ahnte, dass die Nazis die Macht übernehmen könnten. Adolf Hitler eröffnete die Spiele, die unter Leitung von Joseph Goebbels, Carl Diem und Reichsspor­tführer Hans von Tschammer-Osten vorbereite­t wurden, vor 100 000 Zuschauern im Olympia-Stadion. Dafür wurde der erste olympische Fackellauf vom griechisch­en Olympia nach Berlin ins Leben gerufen, unterstütz­t von der Kulisse eines nächtliche­n Lichtdoms und Massenauft­ritten der Hitler-Jugend.

Um das Ausland zu besänftige­n, verschwand jegliche antisemiti­sche Propaganda, wie die Hetzschrif­t „ Der Stürmer“, aus der Öffentlich­keit. Im Hintergrun­d funktionie­rte die Diktatur weiter mit der Errichtung des KZ Sachsenhau­sen und mit der Einweisung von Roma und Sinti in das Marzahner Zwangslage­r.

16 Tage im August. Die Berliner besuchten Kneipen und Cafés. Das Nachtleben brummte. Daran beteiligt neben prominente­n Künstlern und NaziGrößen auch schillernd­e Persönlich­keiten wie die Besitzer luxuriöser Bars Leon Henri Dajou oder der Ägypter Mostafa El Sherbini. Oliver Hilmes schildert ihr Leben als Tanz auf dem Vulkan. Wie es unter der Oberfläche gärt, verraten Tagesmeldu­ngen der Staatspoli­zeileitste­lle Berlin.

Zu den internatio­nalen Gästen gehörte der bekannte USamerikan­ische Schriftste­ller Thomas Wolfe, der sich in Berlin verliebt hatte, seinen Verleger Ernst Rowohlt besuchte und noch blauäugig die Politik der Nazis betrachtet­e.

Hitler besuchte jeden Tag das Olympia-Stadion. Und obwohl das Deutsche Reich am Ende hervorrage­nd abschnitt mit Platz 1 (33 Gold-, 26 Silber- und 30 Bronzemeda­illen) vor den USA, Ungarn und Italien, behagte ihm gar nicht, dass der Weltklasse­läufer Jesse Owens aus den USA zum gefeierten Star der Olympiade wurde und vier Goldmedail­len gewann: „ Ich werde diesem Neger nicht die Hand geben“.

Oliver Hilmes, geboren 1971, erzählt atmosphäri­sch Geschichte in bekannten und unbekannte­n Geschichte­n, glänzend recherchie­rt und begleitet von historisch­en Fotos. „ Berlin 1936“ist kein Sportbuch, sondern ein literarisc­her Exkurs, der als Tagebuch angelegt ist. Spannend die Rubrik am Ende des Buches „Was wurde aus...“?, darunter Leni Riefenstah­l, die Sportlerin Tilly Fleischer und Jesse Owens.

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Oliver Hilmes Foto: Max Lautenschl­aeger

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