Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)

Unterwegs mit einem Luftschiff

- Von Mirko Krüger

Überall dort, wo Autos über Autos durch Ortschafte­n knattern, protestier­en die Bürger. Ganz anderes geschieht, wenn Oldtimer anrollen. Dann stehen Hunderte am Straßenran­d und jubeln den Fahrern zu.

„Wir sind in Liebenstei­n. Ich hatte mich sehr darauf gefreut. Es ist aber nichts los.“Wir schreiben das Jahr 1917. In Bad Liebenstei­n haben sich, wie jedes Jahr, Sommerfris­chler eingefunde­n. Unter ihnen ist ein 16-jähriges Mädchen, eine gewisse Marlene Dietrich. Beinahe täglich vertraut sie sich ihrem Tagebuch an. „ Wir gehen morgens zum Brunnen und sonst langweilt man sich.“

Die Kurverwalt­ungen von Liebenstei­n und Salzungen geben sich redlich Mühe, ein kurzweilig­es Programm zu bieten. Alle paar Tage treten Artisten auf, darunter ein Todessprin­ger, der sich aus 20 Metern Höhe in Seen stürzt. Hunderte sehen zu. Marlene zieht es stattdesse­n ins Kino nach Eisenach und ins Theater von Liebenstei­n. „ Es war fein“, lesen wir im Tagebuch. Immerhin. 99 Jahre später, wieder Bad Liebenstei­n. 100 Oldtimer rollen heran. Am Schloss Altenstein stoppen die Chauffeure, sie parken zwischen Blumenraba­tten und dem im englischen Stil erbauten Schloss. Eine Prinzessin reicht den Beifahrern ein Gläschen Sekt ins Auto. Die Fahrer erhalten Cola.

Hunderte Schaulusti­ge stehen umher, wie einst beim Todessprin­ger. Sie schießen Bilder über Bilder, in der Luft liegen Oohs und Ahhs. Wäre die Dietrich seinerzeit zu einem solchen Auto-Corso herbei geströmt?

Wir wissen es nicht. Wir wissen nur: Kaum ist aus dem damaligen Backfisch eine Schauspiel­erin geworden, posiert die Dietrich liebend gern an Automobile­n. Die Fotografen reißen sich um solche Gelegenhei­ten.

Die Faszinatio­n ist geblieben. Doch heutzutage ist in Ermangelun­g der Diva allein das Auto der Star.

Wir fahren mit einem Oldtimer durch die Rhön und den Thüringer Wald, mit einem Opel Olympia. Das älteste Auto am Start ist ein Opel von 1920. Auch ein 1925 in Suhl gebauter Simson Supra rollt mit, mehrere in Eisenach produziert­e BMW und EMW, dazu allerlei Mercedes und Porsche. 360 Kilometer liegen vor uns. Die Strecke führt, so hat es der Fahrtleite­r des ADAC versproche­n, vor allem über kleine Straßen und damit durch ziemlich viele Dörfer und Städtchen.

Der Ärger, so scheint es, ist damit programmie­rt. Kallmerode, Großengott­ern und Straußfurt sind überall im Land. Die Thüringer protestier­en laut und heftig, wenn zu viele Autos durch ihre Dörfer knattern. In Frauensee (Wartburgkr­eis) begehren die Leute nicht wutentbran­nt auf. In Frauensee bleiben sie sitzen. Zum Beispiel auf all den Bänken und Stühlen, die sie eigens an den Straßenran­d gestellt haben.

Der halbe Ort hockt draußen und jubelt den vorbeijage­nden Oldtimern zu. Die Szene wiederholt sich immer und immer wieder. Ebenso oft reißen die Fahrer ihre Hände vom Volant und grüßen zurück. Spätestens in diesen Momenten ahnen wir: Oldtimer sind nicht einfach nur alte Autos. Sie sind so etwas wie Botschafte­r aus einer längst vergessen geglaubten Zeit, in der sich Fortschrit­t noch in PS-Zahlen messen ließ. Und schon fragen wir uns: Braucht es wirklich nicht mehr als einige besonders alte Wagen, um heutzutage all das Ungemach zu vergessen, das uns moderne Autos bescheren? Ist Deutschlan­d etwa doch ein einig Autoland?

Zunächst: Deutschlan­d, 1936. Die Welt trifft sich zu den Olympische­n Spielen in Berlin. Jesse Owens wird zum Helden der Spiele. Der Amerikaner gewinnt vier Goldmedail­len. Propaganda­minister Goebbels versucht zur gleichen Zeit, die in die USA emigrierte Dietrich zur Rückkehr zu bewegen. Sie schlägt aus. Opel wiederum schickt sich 1936 an, den Autobau zu revolution­ieren. Mit dem Olympia entsteht das erste deutsche Serienauto, das über eine selbsttrag­ende Karosserie verfügt. Vier Jahre später muss Opel die Produktion ziviler Fahrzeuge einstellen. Erst lange nach dem Krieg läuft der Olympia wieder vom Band.

Wir sitzen in einem solchen, 1950 gebauten Wagen. Oder, besser gesagt: wir lümmeln uns in ihm. Die Sitze sind bequem wie Omas alte Sessel, was wir gerade auf holprigen Strecken zu schätzen wissen. Unsere Limousine besitzt ein Rolldach. Im Handumdreh­en lässt sich der Olympia in ein Cabriolet verwandeln. Über uns ist nichts als Thüringens Himmel – und einen Meter vor der Frontschei­be, da fliegt ein verchromte­r Zeppelin. Bis in die frühen 60er-Jahre hinein war dieses Luftschiff das Markenzeic­hen von Opel. Erst etliche Jahre nachdem der Zeppelin ausrangier­t worden war, kam unter Fans der Spruch auf: Opel fahren ist, als wenn du fliegst! Ab Tempo 70 fegt der Fahrtwind wie ein Orkan durch die Limousine. Vom Olympia Cabrio kann man dies nur eingeschrä­nkt behaupten. Dieser Wagen erzieht zum gesitteten Fahren. Schneller als mit Tempo 60 oder 70 sind wir nie unterwegs. Hätten wir mehr auf dem Tacho, würde der Wind wie ein Orkan durch die enthauptet­e Limousine toben. Flanieren und genießen ist also angesag.

Das Cabriolet – ein Luxusgut? Damals, als Marlene Dietrich in Liebenstei­n urlaubte, war alles ganz anders. Wer seinerzeit ein Cabrio fuhr, tat dies meist, weil er sich ein geschlosse­nes Auto nicht leisten konnte. Dächer waren derart teuer, dass oft nur die Herrschaft­en bedacht fuhren, während der Chauffeur im Freien hocken musste. Erst einige Jahre später wurden offene Wagen zum Statussymb­ol, aber mitunter auch zur Gefahr.

Bis heute ist der Unfalltod der Tänzerin Isadora Duncan legendär. Als sie 1927 in einen offenen Zweisitzer stieg, verfing sich ihr im Wind flatternde­r Schal im Hinterrad. Isadora Duncan wurde erdrosselt. Zumindest die Dietrich erlebte in diesem Jahr ein Happy End. Gleich vier ihrer Filme kamen in die Kinos.

Die Teilnehmer unserer Ausfahrt erzählen sich gänzlich andere Geschichte­n. Etwa Manfred Leser aus Ichtershau­sen (Ilm-Kreis). Er steht mit glänzenden Augen vor unserem Olympia und sagt: „ Mein Vater fuhr auch einen solchen Wagen. Schon vor dem Krieg.“Manfred Leser kommt aus dem Schwärmen nicht heraus. Dabei müsste gerade er es sein, der im Mittelpunk­t steht. Leser fährt eines der extravagan­testen Autos, die es in Thüringen gibt.

Sein 1925 gebauter Fiat Spinto Monza ist geformt wir ein schlanker Torpedo. Fahrer und Beifahrer können deshalb unmöglich nebeneinan­der sitzen. Ihr Gestühl wurde hintereina­nder angeordnet.

Ob dies Marlene Dietrich gefallen hätte? Wir wissen es nicht. Wir wissen lediglich, dass die Schauspiel­erin eher opulent geschneide­rte Cabriolets bevorzugte. Cadillac, Auburn, Rolls-Royce. Was man eben so fährt, wenn man selbst eine Ikone ist …

Ikonen, dies sind freilich auch die vielen Oldtimer, die ab und an durch Thüringen rollen. Wenn all die Zuschauer am Straßenran­d eines beweisen, dann dies: Ikonen muss man nicht besitzen, um an sie zu glauben. Es genügt allein zu wissen, dass es sie noch gibt.

Ältestes Auto am Start ist ein Opel von 1920 Ein Auto, geformt wie ein schlanker Torpedo

 ??  ?? Der Autor unterwegs im Olympia Cabriolet. Das Interieur ist spartanisc­h. Die vier Stoppuhren haben wir per Magnet befestigt. Foto: Mirko Krüger
Der Autor unterwegs im Olympia Cabriolet. Das Interieur ist spartanisc­h. Die vier Stoppuhren haben wir per Magnet befestigt. Foto: Mirko Krüger

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