Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)
Es ist der Strohhalm, der den Rücken des Kameles bricht
In Thüringen sucht das Netzwerk „Nest“nach Möglichkeiten, Selbstmorde zu verhindern. Experte Armin Schmidtke sieht Kränkungen als Ursache
Mehr als 300 Menschen nahmen sich in Thüringen im Jahr 2014 das Leben. Damit lag Thüringen an fünfter Stelle, Spitzenreiter
Einer der seit Jahrzehnten Gründe für Selbsttötungen und Suizidversuche erforscht, ist der Würzburger Armin Schmidtke. Armin Schmidtke, Suizid-Forscher sagte Schmidtke. Es gehe darum, auf breiter Front für die Signale der Betroffenen zu sensibilisieren. Das beginne in der Schule und schließe Wachheit in sozialen Verbänden oder in der Apotheke ein.
Laut Schmidtke veranlasst häufig ein ganzes Bündel von Gründen die Betroffenen, Hand an sich zu legen. Kränkungen stauten sich über längere Zeit an. Ziel des Suizidversuches sei meist nicht der eigene Tod, sondern das Beenden von Lebenssituationen, aus denen es keinen Ausweg zu geben scheine. Der eigentliche Anlass sei meist so banal, dass ihn Außenstehende kaum erkennen könnten. „Es ist der letzte Strohhalm, der den Rücken des Kameles bricht“, zitierte der Würzburger.
Laut Prof. Schmidtke verlieren Menschen, die sich in Selbstmordgedanken hineinsteigern, zunehmend die Freiheit des Handelns. Umso wichtiger sei es, Suizide zu enttabuisieren. Ein neues Problemfeld stellten die sozialen Netzwerke dar. „Das Internet ist antitherapeutisch und prosuizidal. Dass heute schon Neunjährige online Suizidwünsche und vergleichbare Botschaften posten, ist ein neues verstörendes Phänomen“, so der Suizid- Experte.
Durch genaues und wachsames Hinsehen ließen sich Risikogruppen ausmachen. Analysen hätten gezeigt, dass 90 Prozent der Betroffenen zum Zeitpunkt des Suizids an einer psychiatrischen Erkrankung litten. Mit dem Alter steige das Suizidrisiko deutlich an. „Wir müssen lernen zu sehen, wenn es Menschen nicht gut geht“, sagte Schmidtke. Präventionsnetzwerke sollten ihre Leute auch im Arbeitsamt oder bei der Wohnungsbehörde haben. Zu den bisher kaum wahrgenommen Risikogruppen gehörten Migranten und Menschen mit anderer sexueller Orientierung.
Die Suizidprävention bei Bisexuellen, Transgender oder Intersexuellen soll ein Schwerpunkte von NeST in Jena sein. Bisher eher ratlos sind die Experten bei jungen muslimischen Männern, die nicht wissen, wie sie mit ihrer anderen sexuelle Neigung umgehen sollen. „Da wissen wir leider noch gar nicht, was man machen kann“, räumte Armin Schmidtke ein.
„Das Internet ist prosuizidal. Dass schon Neunjährige online Suizidwünsche und vergleichbare Botschaften posten, ist verstörend.“