Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)
Stars spielen woanders
Nach der WM ist vor der Liga. So spannend die Spiele und so bunt die Shows auf Russlands großer Bühne auch waren: Für viele Fans schlägt das Herz des wahren Fußballs nicht in Infantinos Circus Maximus, sondern gleich um die Ecke. Dort, wo einen der Ordner per Handschlag begrüßt; die Bratwurst und das Bier am besten schmecken. Dort, wo neunzig Spielminuten das persönliche Stimmungsbarometer für das gesamte Wochenende beeinflussen.
In neun Tagen beginnt der Ball bereits in der dritten Liga und in der Regionalliga zu rollen. Dann wird es für Carl Zeiss Jena sowie Wacker Nordhausen, Rot-Weiß Erfurt und dem ZFC Meuselwitz ernst. Vier Thüringer Vereine – allesamt mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Ambitionen antretend; aber mit dem grundsätzlichen Bedürfnis, den eigenen Anhängern gute Unterhaltung zu bieten. Sie sollen ja wiederkommen.
Für die Budgetplanung der Proficlubs spielen die Eintrittsgelder indes keine signifikante Rolle mehr. In Zeiten von gut dotierten TV- und Sponsoren-Verträgen soll der durchschnittliche Erlös aus dem Ticketverkauf mittlerweile bei unter 20 Prozent liegen. Trotzdem ist es natürlich schön, wenn die Zuschauer auch ab 24. August wieder in die Bundesliga-Arenen strömen. Wer will schon vor halbleeren Rängen spielen. Macht ja keinen guten Eindruck. Wir waren ja bis zum Sonntag die Weltmeister-Liga. Und jetzt?
Eine Gilde der Gescheiterten? Eine Gesellschaft zweiter Klasse? Ein Sammelbecken für Talente? Irgendwie von allem etwas. Nicht nur das enttäuschende Ausscheiden der DFB-Auswahl hat gezeigt, dass die deutsche Eliteliga im Konzert der Großen leise Töne spielt. Auch ein Blick auf die Aufstellungen in den beiden WM-Finalspielen beweist: Europas Takt geben die englische Premier League und Spaniens Primera Division vor. Das ist nicht überraschend, weil dort mit Abstand auch das meiste Geld umgesetzt wird. Doch der Rückstand, und das ist das eigentlich Schmerzliche – ist seit dem Rausch von Rio größer geworden.
Von den 55 Akteuren, die am finalen Wochenende auf dem WM-Rasen standen, spielen lediglich vier in der Bundesliga. Das Duell um Platz drei zwischen Belgien und England ging gänzlich ohne „deutsche“Beteiligung vonstatten. Im Endspiel gehörten nur Stuttgarts Franzose Benjamin Pavard und Frankfurts Kroate Ante Rebic zu den tragenden Säulen ihrer Teams. Greift nicht wenigstens der FC Bayern beherzt zu, werden beide in Deutschland nicht zu halten sein. Corentin Tolisso (München) und Andrej Kramaric (Hoffenheim) bildeten allenfalls schmückendes Beiwerk. Die Stars der Szene verdienen ihr Geld woanders.
In Frankreichs League 1 zum Beispiel, wohin einst Zlatan Ibrahimovic sowie Neymar und Kylian Mbappé dank katarischer Millionen gelockt bzw. gehalten werden. Oder in Italiens Serie A, die wegen veralteter Stadien, ausbleibender Fans und Betrugsskandalen längst abgehängt schien; die jedoch durch den Transfer von Cristiano Ronaldo einen gewaltigen Boom erlebt. Allein in den ersten 24 Stunden nach Bekanntgabe seiner Verpflichtung soll Juventus Turin mehr als 500 000 Trikots mit der Nummer 7 abgesetzt und damit schon die Hälfte der gezahlten Ablöse reingeholt haben.
Dass Ronaldos Lücke bei Real Madrid mit Bayerns Stürmer Robert Lewandowski geschlossen wird, gilt als unwahrscheinlich. Der zunehmend egozentrische Pole traf in der Bundesliga zwar wie er wollte. Doch seine Leistungen hielten mit den eigenen Ambitionen nicht Schritt. In der Champions League und bei der WM blieb er den Nachweis von Weltklasse schuldig. Da war er bemühter Mitläufer bzw. erfolgloser Vorrunden-Statist. So kommt es nicht unerwartet, dass er sich mit einem weiteren Jahr in München anfreunden wird. Einer, der ihm in der Liga die Show stehlen könnte, ist nicht in Sicht. Im Ringen um die Riesen der Branche muss sich die Bundesliga vorkommen wie das fünfte Rad am Wagen: nahezu überflüssig.
Die Kehrseite der Medaille wäre allerdings der (bislang) mehrheitlich abgelehnte Wegfall der 50+1-Regel; die komplette Öffnung für Investoren, die Weltstars kaufen und verkaufen, wie ihnen der Geschäftssinn steht. Aber wollen wir das wirklich? Soll die Liga diesen kranken Wettlauf um astronomische Ablösesummen und irrwitzige Gehälter mitmachen? Und sich damit womöglich gänzlich von der Fankurve und deren gewachsener Kultur entfernen? Wie vieles ist auch das eine Glaubensfrage. Tradition und Solidität auf der einen Seite; Investment und Risiko, um attraktiver zu sein, auf der anderen. Eine Mischung aus beidem wäre sicher der Königsweg.
Seit dem Champions-League-Finale 2013 zwischen den Bayern und Dortmund stand kein deutscher Club mehr in einem europäischen Endspiel. Die Aussichten, dass diese Durststrecke in der kommenden Saison beendet wird, sind nicht rosiger geworden.