Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)
Der türkische Patient
Die Lira verliert weiter an Wert. Der Verfall wird auch für die Europäische Union zur Gefahr
Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich steht die Türkei mit 223 Milliarden Dollar bei ausländischen Geldgebern in der Kreide, vor allem aus Südeuropa. Deutsche Banken machten zwar laut Bundesbank nur rund 21 Milliarden Euro für die Türkei locker. Sollten jedoch südeuropäische Häuser ins Schlingern geraten, wären auch deutsche Banken betroffen – sie haben sich in Südeuropa stark engagiert. Doch nicht nur Banken, auch Unternehmen sind von der türkischen Finanzkrise betroffen. Viele türkische Firmen nahmen Kredite in harter Währung – Dollar oder Euro – auf. Da die Lira im Vergleich zu Euro und Dollar immer weiter fällt, müssen sie immer tiefer in die Tasche greifen, um die Schulden zu begleichen. Die deutsche ExportIndustrie leidet ebenfalls unter der Talfahrt der Lira. Wenn die türkische Währung billiger wird, wird der Euro entsprechend höher bewertet. Ein höherer Euro verteuert aber die Ausfuhren in die Türkei. 2017 gingen deutschen Exporte für rund 22 Milliarden Euro dorthin: Damit steht die Türkei auf Rang 16 aller deutschen Ausfuhrpartner.
Wird nun verstärkt mit der türkischen Lira spekuliert?
Die Nachfrage, auch von Verbrauchern, nach der türkischen
Lira hat sich stark abgeschwächt. Die Commerzbank geht davon aus, dass wegen der starken Kursschwankungen auch weniger spekuliert wird, und rechnet mit einem weiterhin zurückhaltenden Markt. Grund sind die Unsicherheit der Anleger und fehlendes Vertrauen in die türkische Zentralbank. Selbst wenn die Türkei nun Fremdwährungsaktivitäten beschränkt, reicht diese Maßnahme nicht aus, um die Lira zu stabilisieren.
Gefährdet Erdogans Hinwendung nach Osten die Sicherheit Europas? Die türkischen Streitkräfte sind seit 1952 Mitglied der Nato. Das Land hält nach den USA die zweitgrößte Anzahl an aktiven Soldaten in der Allianz. Im Kalten Krieg war die Türkei für Amerika ein wichtiger Allianzpartner in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion. Zudem galt Ankara als stabilisierendes Element im politisch unruhigen Nahen Osten. Doch gegenwärtig befinden sich die Beziehungen zwischen der Türkei und den Vereinigtem Staaten auf einem neuen Tiefpunkt. Hintergrund ist der Streit um den in der Türkei unter Terrorvorwürfen festgehaltene USPastor Andrew Brunson. Umgekehrt forderte Erdogan vergeblich die Auslieferung des im USExil lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen, den er für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich macht. Der türkische Präsident drohte bereits unverhohlen damit, sich „nach neuen Freunden und Verbündeten umzuschauen“. Im Syrienkonflikt arbeitet die Türkei bereits eng mit Russland und dem Iran zusammen. Die zunehmende Hinwendung der Türkei nach Osten stellt das Bündnis vor eine schwere Belastungsprobe.