Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Parole: Durchhalten
Die nächsten Änderungen an der Gebietsreform werden heute von den Koalitionsfraktionen im Landtag beraten
Erfurt. Der erste Satz der politischen Thermodynamik in diesem Jahr lautet offenkundig: Je mehr die Außentemperaturen in Thüringen steigen, umso kühler wird es in der rot-rot-grünen Koalition. Heute zum Beispiel dürfen sich die Landtagsabgeordneten zu Sondersitzungen ihrer Fraktionen im Landtag zusammenfinden. Zu beraten ist die Änderung der Änderung der Pläne zur Kreisreform.
Die Stimmung, da stimmen alle Prognosen überein, wird stürmisch. Dies liegt nicht nur an der selbst produzierten Verwirrung oder der vertrackten verfassungsrechtlichen Situation, sondern auch am anschwellenden Protestgesang. Tausende Menschen gingen in dieser Woche in Sonneberg, Apolda und Schleiz auf die Straße, um für ihre Kreisstädte zu demonstrieren. Und dies, das wissen alle Beteiligen, ist nur der Anfang.
Aber die Koalition will da jetzt durch. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat die Parole Durchhalten ausgegeben, und auch die zweifelnden Grünen wollen sich vorerst daran halten. So wurde es am Montag in einer vierstündigen Beratung des kommunalpolitischen Koalitionsarbeitskreises vereinbart. Seit Ostern hatte das Gremium mehrfach mit Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) getagt, um über den Gesetzentwurf zu reden, der Mitte Juni vom Kabinett verabschiedet werden soll. Herausgekommen ist wohl erst einmal das, was die Ostthüringer Zeitung bereits in der vorigen Woche vermeldet hatte: Im Südwesten soll Suhl nicht nur mit den Kreisen Sonneberg und Hildburghausen zusammengehen, sondern auch mit Schmalkalden-Meiningen.
In der Folge darf nun doch Hildburghausen nicht Kreisstadt bleiben. Stattdessen soll der Landrat für Südwesthüringen in Meiningen sitzen.
Entschieden wurde dies anhand von Kriterien, die sich die Abgeordneten gemeinsam mit Poppenhäger ausgedacht hatten. Danach wäre die ideale Kreisstadt der größte Ort in der Region mit der zentralsten Lage, der aber gleichzeitig am stärksten von dem Verwaltungssitz abhängig ist.
Dass die Experten mit diesem Katalog dennoch auf die Kreisstädte kommen, die der Minister bereits in seinem Vorschlag bevorzugte, wird heute Fragen in den Fraktionen provozieren. Eine Antwortversuch dürfte lauten: Da, wo die Kriterien nicht passten, wurden sie passend gemacht. Dafür erfand mal eigens einen Faktor namens „Korrektiv“.
Ganz klar war die Situation aber am gestrigen Abend immer noch nicht, zumal das Kabinett nach seiner regulären Sitzung am Nachmittag nochmals in Klausur ging. Auch dort wurde über die Kreisreform diskutiert und darüber, dass allein der Verlust des Kreissitzes für Nordhausen der Koalition ihre Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag kosten könnte. Die örtlichen Abgeordneten von SPD und Linke haben sich da öffentlich ziemlich festgelegt.
Ansonsten will die Koalition die Städte, die den Landratssitz verlieren, mit allerlei Zusagen befrieden. Jenseits der versprochenen Bürgerbüros und Millionen sollen die Orte einen Teil ihrer Verwaltungsfunktionen behalten.
Die weitestgehende Überlegung ist, allen Städten, die den Kreissitz verlieren, den Status der Großen kreisangehörigen Stadt zuzubilligen. Dann könnten sie zum Beispiel Bau- und Gewerbeamt oder den Denkmalschutz behalten. Die bisherigen kreisfreien Städte Eisenach und Suhl sollen sich sogar noch aussuchen dürfen, ob sie die Trägerschaft für Sparkasse, Schulen und den Nahverkehr behalten wollen.
Abgesehen davon soll es dabei bleiben, dass Weimar und Gera nun doch ihre Kreisfreiheit behalten dürfen. Pläne der Linken, sie wenigstens zur Kooperation mit dem Umland zu zwingen, werden wohl zu einer Empfehlung abgeschwächt.
Ob diese Kompensationsmaßnahmen den Betroffenen reichen, darf bezweifelt werden. Nordhausen etwa ist schon Große kreisangehörige Stadt. Und die Sonneberger haben schon bei der letzten Gebietsreform gezeigt, dass ihnen ihre fränkische Unabhängigkeit über alles geht.
Die Grünen scheinen eingefangen. Die interne Überlegung von Fraktionschef Dirk Adams, die Kreisreform auszusetzen, wurde erst von der SPD halböffentlich kolportiert, um sie dann öffentlich zurückweisen. Denn der Preis, das ist in der Koalition jedem klar, wäre der Rücktritt des Innenministers, für den man keinen Nachfolger hätte.
Heute werden die Fraktionen durchzählen, ob sie eine Mehrheit im Landtag zustande bringen. Falls die Rechnung positiv ausgeht, soll nächste Woche die formale Abstimmung des Kreisreformgesetzes in der Regierung beginnen. Die Verabschiedung im Kabinett ist für den 13. Juni geplant. Bis dahin, das nur nebenbei, sollen die Außentemperaturen tüchtig steigen.
Die Grünen sind eingefangen