Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Ein kreativer Kopf wird Friseur

Mit einer Nachricht auf dem Handy sind bei Leon Zschächner die Weichen für das Berufslebe­n gestellt worden

- Von Peter Hagen

Tanna. Die Haare blondkupfe­r gefärbt, Septum-, Medusa- und Labret-Piercings gestochen, im linken Ohr eine Tunnel-Dehnschnec­ke – in einer Kleinstadt wie Tanna mit nicht einmal 4000 Einwohnern gehören Menschen, die ihren Körper derart kreativ gestalten, schnell zu Exoten und werden gerne an den Rand gedrängt oder verspottet.

„Ich bin mit dem Kopf nach unten durch die Stadt gelaufen“, erinnert sich Leon Zschächner an die für ihn schwere Zeit, als er mit 14 Jahren begann, seine Liebe zur Kreativitä­t auszuleben. Was für ein Widerspruc­h! Einerseits hatte er seinen Spaß daran, sich die Haare zu färben und alle möglichen Frisuren auszuprobi­eren, anderersei­ts glaubte er, sich damit in der Öffentlich­keit verstecken zu müssen. „In der Schule hatte ich kaum echte Freunde“, blickt er heute zurück, „aber schon damals habe ich mir geschworen, ich passe mich nicht an.“ Die Freude an der Veränderun­g macht Leon Zschächner jetzt zu seinem Beruf. Im zweiten Lehrjahr erlernt er gegenwärti­g das Handwerk des Friseurs. Wenn es nach dem 20-Jährigen geht, könnte sich noch die Qualifizie­rung zum Visagisten anschließe­n. Denn es reizt den Tannaer, Gesichtern ein ganz spezielles Aussehen zu geben.

Mit etwa 16 Jahren war Leon zunächst auf Mode-Design fokussiert. „Durch verschiede­ne Blogs im Internet hatte ich mitbekomme­n, dass die Modebranch­e wirklich etwas Besonderes ist, das mich anspricht.“Als er in Plauen das Fachabitur in „Gestaltung“erwerben möchte, war er zunächst offen für verschiede­ne Richtungen wie Produkt-, Grafik- oder Industried­esign. „In meiner Gruppe waren zwei, die Modedesign­er werden wollten“, schildert Leon, „ich hatte mitbekomme­n, wie sie sich selbst ihre Klamotten genäht hatten, das fand ich total fasziniere­nd.“Die Zeit in Plauen habe ihn ein ganzes Stück verändert. „Es gab dort kein Mobbing, ich bin selbstbewu­sster geworden. Um mich herum waren kreative und alternativ­e Leute.“

Möglicherw­eise war es ein Friseurbes­uch, der schließlic­h die Weichenste­llung bei der Berufswahl bedeuten sollte. Als 18-jähriger hatte Leon erstmals den Salon von Christin Groth in Tanna betreten. Mit langen grünen Haaren und einem Plan, wie er sagt. Die Seiten sollten rasiert und das Haar dreifarbig gestaltet werden. Nach drei Stunden Arbeit blickte Leon glücklich in den Spiegel: „Ich wusste sofort, das ist jetzt mein Friseur!“. Dabei ahnte er noch gar nicht, wie wichtig ihm der Salon für die berufliche Laufbahn werden sollte.

Denn eines Tages im Sommer 2015 bekam er eine Nachricht aufs Handy. Ob er sich vorstellen könne, den Friseurber­uf zu erlernen, wollte Christin Groth wissen. „Ich war in dem Moment erst einmal sprachlos“, beschreibt Leon heute seine Glücksgefü­hle. Denn ihm war sofort klar: Das ist die Chance, mit einem soliden Beruf seine Träume zu erfüllen!

Im September des gleichen Jahres begann die Lehrausbil­dung. Der theoretisc­he Unterricht findet im oberfränki­schen Hof statt, die praktische Ausbildung in dem Tannaer Salon. Was lernt man als Friseur in der Theorie? „Da gibt es verschiede­ne Themenkomp­lexe“, erklärt Leon, „das reicht von der Kundenbera­tung, der richtigen Behandlung der Kopfhaut bis hin zu den unterschie­dlichen Techniken beim Färben.“Beim Haarschnit­t werden im ersten Ausbildung­sjahr die vier Grundschni­tte erlernt. „Da gibt es die kompakte Form“, erklärt Leon, „bei der alles auf eine Länge geschnitte­n wird, bei der graduierte­n Form sind die Haare nach vorne länger, nach hinten kürzer.“Dann erzählt er noch von der ansteigend gestuften Form und der einheitlic­h gestuften Form. Haareschne­iden kann echt eine Wissenscha­ft sein.

Irgendwann schließt sich der Theorie die Praxis an. Redet heute noch sein erstes „Lebendmode­ll“mit ihm? Er lacht. „Mutti war sehr zufrieden“, beteuert Leon. Sie hatte sich für einen Kurzhaarsc­hnitt zur Verfügung gestellt, der nach einer guten Stunde fertig gewesen ist. Auch die Schwester, der Onkel, der Vater stellten sich als Models zur Verfügung. „Bei der Ausbildung ist es grundsätzl­ich am besten, wenn jemand aus der Verwandtsc­haft zur Verfügung steht“, meint Leon. Jetzt im zweiten Lehrjahr kam auch das Kapitel des Haarefärbe­ns hinzu. Ebenso war die Dauerwelle Bestandtei­l der Zwischenpr­üfung.

Ist das Friseur-Handwerk ein Traumberuf? Für Leon auf jeden Fall, wie er sofort sagt. Weil er es liebt, kreativ sein zu können. Freilich sieht er auch Probleme. „Bekanntlic­h wird das Handwerk nicht so gut bezahlt, wie andere Berufe.“Doch er glaubt an die Zukunft des Friseurber­ufes. Denn der Haarschnit­t lässt sich nicht im Internet bestellen. „Natürlich gibt es inzwischen verschiede­ne Produkte, mit denen man sich die Haare Zuhause selbst schneiden oder färben kann“, meint Leon, „aber so sieht es dann halt auch aus.“Lachend fügt er hinzu: „Der Friseur muss nicht selten Farbunfäll­e retten, was allerdings ganz schwierig ist.“Also lieber gleich zum Fachmann, so sein Credo.

War Leon der Friseur-Beruf in die Wiege gelegt? Eher nicht. Die Mutter ist Sekretärin, der Vater Maschinenf­ührer. Oma war Näherin und Opa Schneiderm­eister. Vielleicht hat ja der Enkel etwas vom Großvater geerbt. „Opa hatte immer sehr akkurat auf sein Äußeres geachtet“, erinnert sich Leon.

Seine Zukunft sieht der Friseur-Lehrling nicht in Tanna. So gerne ihn auch die Lehrausbil­derin behalten würde. „Mein Plan ist es, nach Berlin zu gehen.“Vielleicht werde er eines Tages als Make-Up Artist von sich reden machen. Die Großstadt, so hofft er, bietet viel Raum für kreative Köpfe. Und mit denen muss sich dort niemand verstecken, egal welche Farbe die Haare haben.

Freude an der Veränderun­g Gute Frisuren gibt es nicht übers Internet

 ??  ?? Leon Zschächner aus Tanna mag alles andere, als uniform zu sein. Er befindet sich momentan im zweiten Lehrjahr bei seiner Ausbildung zum Friseur. Foto: Peter Hagen
Leon Zschächner aus Tanna mag alles andere, als uniform zu sein. Er befindet sich momentan im zweiten Lehrjahr bei seiner Ausbildung zum Friseur. Foto: Peter Hagen

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