Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Ein kreativer Kopf wird Friseur
Mit einer Nachricht auf dem Handy sind bei Leon Zschächner die Weichen für das Berufsleben gestellt worden
Tanna. Die Haare blondkupfer gefärbt, Septum-, Medusa- und Labret-Piercings gestochen, im linken Ohr eine Tunnel-Dehnschnecke – in einer Kleinstadt wie Tanna mit nicht einmal 4000 Einwohnern gehören Menschen, die ihren Körper derart kreativ gestalten, schnell zu Exoten und werden gerne an den Rand gedrängt oder verspottet.
„Ich bin mit dem Kopf nach unten durch die Stadt gelaufen“, erinnert sich Leon Zschächner an die für ihn schwere Zeit, als er mit 14 Jahren begann, seine Liebe zur Kreativität auszuleben. Was für ein Widerspruch! Einerseits hatte er seinen Spaß daran, sich die Haare zu färben und alle möglichen Frisuren auszuprobieren, andererseits glaubte er, sich damit in der Öffentlichkeit verstecken zu müssen. „In der Schule hatte ich kaum echte Freunde“, blickt er heute zurück, „aber schon damals habe ich mir geschworen, ich passe mich nicht an.“ Die Freude an der Veränderung macht Leon Zschächner jetzt zu seinem Beruf. Im zweiten Lehrjahr erlernt er gegenwärtig das Handwerk des Friseurs. Wenn es nach dem 20-Jährigen geht, könnte sich noch die Qualifizierung zum Visagisten anschließen. Denn es reizt den Tannaer, Gesichtern ein ganz spezielles Aussehen zu geben.
Mit etwa 16 Jahren war Leon zunächst auf Mode-Design fokussiert. „Durch verschiedene Blogs im Internet hatte ich mitbekommen, dass die Modebranche wirklich etwas Besonderes ist, das mich anspricht.“Als er in Plauen das Fachabitur in „Gestaltung“erwerben möchte, war er zunächst offen für verschiedene Richtungen wie Produkt-, Grafik- oder Industriedesign. „In meiner Gruppe waren zwei, die Modedesigner werden wollten“, schildert Leon, „ich hatte mitbekommen, wie sie sich selbst ihre Klamotten genäht hatten, das fand ich total faszinierend.“Die Zeit in Plauen habe ihn ein ganzes Stück verändert. „Es gab dort kein Mobbing, ich bin selbstbewusster geworden. Um mich herum waren kreative und alternative Leute.“
Möglicherweise war es ein Friseurbesuch, der schließlich die Weichenstellung bei der Berufswahl bedeuten sollte. Als 18-jähriger hatte Leon erstmals den Salon von Christin Groth in Tanna betreten. Mit langen grünen Haaren und einem Plan, wie er sagt. Die Seiten sollten rasiert und das Haar dreifarbig gestaltet werden. Nach drei Stunden Arbeit blickte Leon glücklich in den Spiegel: „Ich wusste sofort, das ist jetzt mein Friseur!“. Dabei ahnte er noch gar nicht, wie wichtig ihm der Salon für die berufliche Laufbahn werden sollte.
Denn eines Tages im Sommer 2015 bekam er eine Nachricht aufs Handy. Ob er sich vorstellen könne, den Friseurberuf zu erlernen, wollte Christin Groth wissen. „Ich war in dem Moment erst einmal sprachlos“, beschreibt Leon heute seine Glücksgefühle. Denn ihm war sofort klar: Das ist die Chance, mit einem soliden Beruf seine Träume zu erfüllen!
Im September des gleichen Jahres begann die Lehrausbildung. Der theoretische Unterricht findet im oberfränkischen Hof statt, die praktische Ausbildung in dem Tannaer Salon. Was lernt man als Friseur in der Theorie? „Da gibt es verschiedene Themenkomplexe“, erklärt Leon, „das reicht von der Kundenberatung, der richtigen Behandlung der Kopfhaut bis hin zu den unterschiedlichen Techniken beim Färben.“Beim Haarschnitt werden im ersten Ausbildungsjahr die vier Grundschnitte erlernt. „Da gibt es die kompakte Form“, erklärt Leon, „bei der alles auf eine Länge geschnitten wird, bei der graduierten Form sind die Haare nach vorne länger, nach hinten kürzer.“Dann erzählt er noch von der ansteigend gestuften Form und der einheitlich gestuften Form. Haareschneiden kann echt eine Wissenschaft sein.
Irgendwann schließt sich der Theorie die Praxis an. Redet heute noch sein erstes „Lebendmodell“mit ihm? Er lacht. „Mutti war sehr zufrieden“, beteuert Leon. Sie hatte sich für einen Kurzhaarschnitt zur Verfügung gestellt, der nach einer guten Stunde fertig gewesen ist. Auch die Schwester, der Onkel, der Vater stellten sich als Models zur Verfügung. „Bei der Ausbildung ist es grundsätzlich am besten, wenn jemand aus der Verwandtschaft zur Verfügung steht“, meint Leon. Jetzt im zweiten Lehrjahr kam auch das Kapitel des Haarefärbens hinzu. Ebenso war die Dauerwelle Bestandteil der Zwischenprüfung.
Ist das Friseur-Handwerk ein Traumberuf? Für Leon auf jeden Fall, wie er sofort sagt. Weil er es liebt, kreativ sein zu können. Freilich sieht er auch Probleme. „Bekanntlich wird das Handwerk nicht so gut bezahlt, wie andere Berufe.“Doch er glaubt an die Zukunft des Friseurberufes. Denn der Haarschnitt lässt sich nicht im Internet bestellen. „Natürlich gibt es inzwischen verschiedene Produkte, mit denen man sich die Haare Zuhause selbst schneiden oder färben kann“, meint Leon, „aber so sieht es dann halt auch aus.“Lachend fügt er hinzu: „Der Friseur muss nicht selten Farbunfälle retten, was allerdings ganz schwierig ist.“Also lieber gleich zum Fachmann, so sein Credo.
War Leon der Friseur-Beruf in die Wiege gelegt? Eher nicht. Die Mutter ist Sekretärin, der Vater Maschinenführer. Oma war Näherin und Opa Schneidermeister. Vielleicht hat ja der Enkel etwas vom Großvater geerbt. „Opa hatte immer sehr akkurat auf sein Äußeres geachtet“, erinnert sich Leon.
Seine Zukunft sieht der Friseur-Lehrling nicht in Tanna. So gerne ihn auch die Lehrausbilderin behalten würde. „Mein Plan ist es, nach Berlin zu gehen.“Vielleicht werde er eines Tages als Make-Up Artist von sich reden machen. Die Großstadt, so hofft er, bietet viel Raum für kreative Köpfe. Und mit denen muss sich dort niemand verstecken, egal welche Farbe die Haare haben.
Freude an der Veränderung Gute Frisuren gibt es nicht übers Internet