Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Adipositas: Wenn nur eine OP hilft
Ab einem bestimmten Übergewicht ist eine Magenverkleinerung die einzige Option
Mehr als 16 Millionen Deutsche gelten als fettleibig. Viele leiden unter langfristig lebensbedrohlichen Folgeerkrankungen. Studien zeigen, dass eine Magenverkleinerung für manche Betroffenen die einzige Möglichkeit ist. Im EU-Ausland ist die Operation gängige Praxis, doch im deutschen Gesundheitssystem ist sie nicht vorgesehen, kritisieren Experten.
Die Ursachen für Fettleibigkeit (Adipositas) sind vielfältig. „Ein Überangebot an Kalorien, Bewegungsmangel, aber auch Stoffwechselstörungen und eine genetische Prädisposition“, zählt Jürgen Ordemann, Leiter des Zentrums für Adipositas und Metabolische Medizin am Helios Klinikum Berlin-Buch, auf. Unabhängig davon würden Fettleibige als faul und undiszipliniert abgestempelt, nicht als Kranke, die kaum noch die Chance bekämen, in ein gesundes Leben zurückzukehren. Übergewicht beginnt ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 25, als adipös gilt, wer einen BMI von 30 oder mehr hat, so definiert es die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Der BMI ist das Gewicht geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat.
Zahlreiche teils lebensbedrohliche Folgeerkrankungen werden direkt mit Adipositas in Verbindung gebracht. Bluthochdruck, Gefäßverkalkung, Typ-2Diabetes, Depressionen und Tumorerkrankungen sind nur einige davon. „Adipositas ist eine Krankheit und etwas völlig anderes als Übergewicht“, stellt Ordemann klar. Doch das deutsche Gesundheitssystem beurteilt das anders. Betroffenen wird die sogenannte multimodale Therapie empfohlen: Bewegungstherapie, Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie.
„Ab einem bestimmten Gewicht sind diese konservativen Therapien jedoch kaum mehr sinnvoll und bringen keinen dauerhaften Erfolg“, sagt Ordemann. Eine Magenoperation dagegen könne Betroffenen bei der Gewichtsreduktion helfen und sogar Folgeerkrankungen wie Diabetes-Typ-2 oder Bluthochdruck deutlich verbessern. Trotzdem werden adipöse Patienten in Deutschland kaum operiert. „Ihnen wird eine wissenschaftlich nachgewiesene Therapie trotz besseren Wissens vorenthalten“, so Ordemann. „Im europäischen Ausland wird deutlich häufiger operiert, die Entwicklung in Deutschland ist sehr verzögert“, sagt auch Florian Seyfried, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Allgemeinund Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Würzburg. Er spricht von erheblichem Nachholbedarf.
In der Regel kämen zwei Eingriffe für adipöse Patienten infrage, so der Experte: Der Schlauchmagen oder der Bypass. „Bei der SchlauchmagenOperation wird aus dem großen Magen ein kleiner Magen hergestellt“, erklärt Ordemann, „größentechnisch wird dabei aus einem Fußball eine Banane.“So sei der Patient deutlich schneller satt und habe weniger Hunger. „Allerdings müssen Patienten nach einem solchen Eingriff Vitamine wie das Vitamin B12 zu sich nehmen, da dieses nicht mehr ausreichend aufgenommen werden kann“, sagt Ordemann. Alle operierten Patienten bedürften einer lebenslangen Nachbetreuung, auch bei dem anderen häufigen Eingriff, dem Bypass. Dabei wird ebenfalls der Magen verkleinert. „Der sogenannte Magenpouch wird mit einer Dünndarmschlinge vernäht. Somit wird der eigentliche Magen und ein Teil des Dünndarms aus der Nahrungspassage ausgeschlossen“, so Ordemann – mit den gleichen Effekten wie beim Schlauchmagen. Gleichzeitig verbessere sich der Stoffwechsel dramatisch.
„90 Prozent der Operierten profitieren deutlich in Bezug auf Diabetes“, sagt Seyfried. Das sei einer der Hauptgründe, aus denen operative Eingriffe bei Adipositas-Patienten im Ausland teils in der Regelversorgung verankert seien, so etwa in Belgien. In Deutschland würden „zwischen 1,6 und 2 Millionen Menschen die Voraussetzungen für eine Operation erfüllen“, sagt Seyfried. Tatsächlich behandelt würde nur ein Bruchteil, „2016 waren es etwa 10 000“, so Seyfried. Damit die Krankenkasse die rund 8000 Euro für den Eingriff übernimmt, müssen Patienten laut Leitlinie einen BMI von 40 haben, die sogenannte morbide Adipositas, oder einen BMI von 35 und eine schwere Folgeerkrankung. Zusätzlich müssen sie die multimodale Therapie für mindestens ein halbes Jahr ohne ausreichenden Erfolg durchlaufen haben. Eine Behandlung, die ebenfalls nicht von der Krankenkasse bezahlt werde, so die Experten.
„Erst dann darf eine OP beantragt werden“, sagt Ordermann. Bewilligt werde sie deshalb noch nicht. „Statistiken zeigen, dass es in Deutschland vom Bundesland abhängt, ob so ein Antrag bewilligt wird“, sagt Seyfried. Dabei sei im Gegensatz zur operativen Methode gar nicht erwiesen, dass schwer adipöse Patienten von Sport und Ernährungsberatung langfristig profitieren. Für eine nachhaltige Verbesserung sei ein operativer Eingriff bei Patienten mit morbider Adipositas derzeit alternativlos.
Aus einem Fußball wird eine Banane