Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Terror gegen Teenager
Der Attentäter hatte ein Pop-Konzert als Ziel gewählt. Das Ende eines fröhlichen, unbeschwerten Familienausflugs
Es sollte ein romantischer Abend mit seiner Freundin werden. Marc Kramer war extra für das Konzert von Sängerin Ariane Grande aus Essen ins englische Manchester gereist. Die Karten waren nicht billig, 60 Pfund, rund 70 Euro. Flur D, Reihe 3, Platz 6. Seine Freundin saß neben ihm auf Platz 5.
„Die Stimmung war top“, erzählt Kramer am Tag nach dem Anschlag auf die Manchester Arena. Er habe mit seiner Freundin den Saal nach dem Song „Dangerous Woman“verlassen. Kurz vorm Ende des Konzerts. Dann stockt er: „Wir waren schon im Tunnel nach draußen, als wir über uns eine Explosion hörten.“Zu diesem Zeitpunkt war es kurz nach halb elf am Abend. Teenie-Idol Grande ließ gerade große rosafarbene Heliumballons nach oben steigen. Auf einmal erschütterten gewaltige Explosionsgeräusche die Arena, in der 21 000 Menschen Platz finden. Konzertbesucher dachten zunächst, die großen Ballons auf der Bühne würden laut platzen. Doch dann begannen Menschen zu schreien.
Auch der Deutsche und seine Freundin waren da noch vergnügt. Zunächst hätten einige gelacht und gescherzt, erzählt er, aber dann seien die Massen angelaufen gekommen, er habe Blut auf einigen Menschen gesehen. „Wir haben uns an den Händen genommen und sind nur noch gerannt, bis wir draußen auf ein Taxi trafen.“Der 21-jährige Deutsche hetzte mit Tausenden weg von der Konzerthalle. Viele stürmten die Treppen des Bahnhofs Victoria Station herunter, der an die Halle grenzt. Im Bahnhof warteten Eltern, die ihre Kinder in die Arme schließen und nach Hause bringen wollten. In Sicherheit. Doch einige Kinder kamen nicht mehr zurück.
Der vermutlich islamistische Selbstmordattentäter riss mindestens 22 Menschen mit in den Tod. 59 Konzertbesucher wurden schwer verletzt, viele schweben noch in Lebensgefahr. Nach Auskunft von englischen Ärzten befinden sich zwölf Kinder unter 16 Jahren unter den Verletzten. Details zu den Verletzungen wollen sie nicht nennen. Nur so viel: Es sei eine „unglaublich schreckliche Bombe, die da losgegangen ist“.
Die achtjährige Saffie R. aus Nordwestengland ist das zweite Opfer, dessen Tod bestätigt wird. „Der Gedanke, dass jemand zu einem Konzert ausgeht und nicht mehr zurückkommt, zerbricht einem das Herz“, sagt ein Lehrer ihrer Schule. Saffies Mutter und ihre Schwester werden noch in einer Klinik behandelt. Sie zogen sich schwere Wunden durch umherfliegende Metallteile, Nägel und Schrauben zu, mit denen der Täter seine Bombe präpariert hatte. Das Ende eines fröhlichen, unbeschwerten Familienausflugs.
Auch Prominente waren unter den Gästen. Pep Guardiolas Ehefrau Cristina Serra und die zwei Töchter Valeria und María blieben unverletzt. Der Trainer von Manchester City, früher beim FC Bayern unter Vertrag, twitterte: „Geschockt. Ich kann nicht glauben, was letzte Nacht passiert ist.“
Wie erträgt eine Stadt nach einem solchen Anschlag das Grauen? Am Morgen hängt Flatterband vor dem Tatort. „Da sind noch Leichen drin. Hier kommt keiner rein“, sagt eine Polizistin in blauer Uniform – und deutet mit dem Kopf auf die Arena hinter ihr.
Marc Kramer geht am Dienstag noch einmal dorthin, zur Manchester Arena, wo die Menschen den ganzen Tag über Blumen niederlegen. Auch viele Polizisten knien aus Respekt vor den Opfern nieder. Die Stadt ist über Nacht eine andere geworden, sagt er. Seine Freundin studiert hier. Still sei es überall, als ob alle vorsichtiger laufen. Am Arm hat er noch das Armband vom Konzert.
Rogers Govender ist der Dekan der Kathedrale in Manchester. „Zusammenstehen ist für uns mehr als nur ein Hashtag im Internet“, sagt er. „Es ist das, was wir jetzt tun müssen, um den Schock hinter uns zu lassen.“Govender hat mit wütenden Passanten gesprochen, mit weinenden und mit solchen, die eine Veränderung von den Politikern erwarten. „Ich erwarte, dass gerade jetzt vor den Wahlen Politiker erkennen, dass es darauf ankommt, eine Gemeinschaft wiederherzustellen, die von Terroristen bedroht wird.“
Tausende kommen am Abend in Manchester auf dem zentralen Albert Square zusammen. Sie tragen Schilder mit Aufschriften, wie „We stand together“und „We love Manchester“und rufen immer wieder laut: „Man! Ches! Ter!“Inmitten von ihnen steht Stephen Lees. Wie viele trägt der 29-Jährige eine Sonnenbrille. Immer wieder wischen sich die Menschen Tränen von den Wangen, besonders als Bürgermeister Andy Burnham die Stadtbewohner zur Einheit aufruft: „Wir alle senden heute ein Signal in die Welt hinaus, dass wir den Terror besiegen können.“
Lees hat kaum geschlafen, den ganzen Tag nur Nachrichten geschaut. „Meine Freunde haben mich davor gewarnt, hierherzukommen“, sagt er, „schließlich hätte es auch hier noch einmal eine Attacke geben können.“Aber er wollte zu der Gedenkfeier kommen. „Ich habe oft in der Arena Bühnen aufgebaut, aber an dem Abend hatte ich keine Schicht“, sagt er. Noch nie sei das Gefühl der Einheit dieser Stadt so stark gewesen.