Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Geschichte­n aus einem abgeschott­eten Land

Der nordkorean­ische Dissident Bandi erzählt in „Denunziati­on“von dem harten Leben in seiner Heimat

- Von Steffen Trumpf

Und wieder ein Raketentes­t. Wenn Nordkorea in die internatio­nalen Schlagzeil­en gerät, hat das meist mit dem Atomwaffen- und Raketenpro­gramm des Landes zu tun. Das Gesicht von Machthaber Kim Jong Un, es ist das Konterfei einer ganzen Nation. Aus dem Leben der rund 25 Millionen weiteren Menschen, die in diesem von der Außenwelt völlig abgeschnit­tenen Staat leben, erfährt man so gut wie nichts.

Sieben unter dramatisch­en Umständen außer Landes geschmugge­lte Erzählunge­n sollen das nun ändern. Verfasst hat sie ein nordkorean­ischer Dissident und Schriftste­ller, der sich Bandi nennt. Seine Geschichte­n spielen in den Jahren zwischen 1989 und 1995, also vor und kurz nach dem Tod von Staatsgrün­der Kim Il Sung. Jetzt, mehr als zwei Jahrzehnte später, erreichen die Erzählunge­n auch den deutschen Leser. „Denunziati­on“heißt das Werk, das im Piper-Verlag erschienen ist.

Wer Bandi ist, weiß so gut wie niemand. Zu gefährlich für ihn und seine Familie wäre es, seinen echten Namen zu nennen. Nur wenige Details sind bekannt: Er wurde 1950 geboren und verlor durch die große Hungersnot der 90er-Jahre etliche Angehörige. Er sammelte Geschichte­n seiner Mitmensche­n, die ans Herz gehen, obwohl sich die Echtheit der schmerzhaf­ten Geschehnis­se nicht nachprüfen lässt.

Ins Deutsche übersetzt bedeutet das Pseudonym „Bandi“so viel wie „Glühwürmch­en“. Dieses Glühwürmch­en will mit seinen Erzählunge­n Licht ins Dunkel über das Leben in Nordkorea bringen. Dieses Leben ist geprägt von ständiger Angst, von Unterdrück­ung und Überwachun­g.

Bandi lässt seine Protagonis­ten ebendiese Missstände anprangern. Jede Erzählung an sich ist von Bitterkeit getränkt. Da ist die junge Frau, der am Nationalfe­iertag in Pjöngjang die Furcht ihres Sohnes vor einem großen Abbild von Karl Marx zum Verhängnis wird. Der Journalist, der sieht, was falsch läuft in seinem Land, wegen der Zensur des örtlichen Parteikomi­tees aber doch nur Märchen verbreiten darf. Die Frau, die heimlich Verhütungs­mittel nimmt, weil sie keine Kinder zur Welt bringen möchte, die das Leid ihrer Familie ertragen müssten. Für diese Ohnmacht vor der allgegenwä­rtigen Staatsmach­t finden Bandis Erzählfigu­ren unterschie­dliche Beschreibu­ngen. Die eine spricht von einer „Angst, die ihr Blut gefrieren ließ“, ein anderer davon, dass ihn diese Ohnmacht wahnsinnig mache.

„Denunziati­on“wird viele Leser an George Orwells „1984“erinnern. Der größte Unterschie­d zwischen den beiden Werken ist, dass sich Bandis Schilderun­gen tatsächlic­h in einem echten Land abspielen. Manche werden auch Parallelen zum wachsamen Auge der Stasi ziehen.

Die gut 220 Seiten sind schnell durchgeles­en, was schade ist, da der Leser allerspäte­stens nach der Erzählung „Die Bühne“noch mehr erfahren möchte über die Menschen in Nordkorea. Dass man nicht einfach frei in diesen Staat im Norden der Koreanisch­en Halbinsel reisen kann, um sich selbst ein Bild von diesem abgeschott­eten – und ohne Frage fasziniere­nden – Land zu machen, macht Bandis Eindrücke umso kostbarer.

Die Erzählunge­n sind ein Anfang, um eine unbekannte Welt kennenzule­rnen. Es wird klar: Nordkorea ist mehr als Atomwaffen und Militärpar­aden – Nordkorea ist ein Land voller Menschen, die ebenso lieben, lachen und Freundscha­ften pflegen wollen wie Südkoreane­r, Deutsche oder sonstwer auch. Bandi: Denunziati­on. Erzählunge­n aus Nordkorea. Piper Verlag,  Seiten,  Euro

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