Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Das Chaos organisieren
Am Wochenende treffen sich eintausend Musikbegeisterte in Crispendorf, um 18 Bands auf dem Heavy Metal-Festival Chaos Descends zu sehen. Viel Arbeit fur die Verantworlichen
„Wir überschreiten gern Musik-Genre-Grenzen. Letztes Jahr war es der Künstler Arthur Brown. Dieses Jahr ist es nicht minder experimentell.“Bühnentechniker Oliver Wurzbacher
Crispendorf. Eine große Wiese in einem Tal, umringt von hohen Bäumen, zwitschernden Vögeln und umsäumt von einer Parkeisenbahn. Das ist das Ferienland Crispendorf. Diese Idylle wird am Freitag und Sonnabend zum dritten Mal Metalfans aus aller Welt gehören. Etwa eintausend Freunde der harten Gitarrenmusik feiern mit 18 Bands unter anderem aus Schweden, Kanada und Polen das internationale Metal-Festival Chaos Descends.
Dass es auch friedlich bleibt, dafür sorgt der Musik-FestivalVeranstalter aus Blankenstein, Franz Schüler. „Es gibt wohl keinen unattraktiveren Ort für einen Anschlag, als einen abgelegenen Wald in Thüringen“, sagt er vor dem Hintergrund möglicher Gefahren. Dazu gebe es auch keine Auflagen seitens der Behörden.
Damit das Risiko gering bleibt, werden zehn bis zwölf Sicherheitskräfte, zwanzig Helfer und zwei Sanitäter vor Ort sein. Wie für solche Veranstaltungen üblich, sind „Waffen, Pyrotechnik, Glasflaschen und offenes Feuer verboten“, sagt Schüler. Diese Grundregeln sollten jedem regelmäßigen Konzertgänger in Fleisch und Blut übergegangen sein. Auch die beiden Sicherheitsschleusen sind nichts Neues: „Fahrzeuge und Gepäck werden auf der Zufahrtsstraße kontrolliert und am Bühnenareal werden Handtaschen und Rücksäcke“begutachtet. Mit einem solchen Sicherheitskonzept werden die Besucher wohl nicht im Chaos versinken, wie die Übersetzung des Festivalnamens Chaos Descends suggerieren könnte.
Dass auch auf der Bühne alles in geordneten Bahnen verläuft, dafür sorgt unter anderem der Bad Lobensteiner Oliver Wurzbacher. Der 26-Jährige ist Student an der Universität Jena, hilft beim Aufbau und kümmert sich auch um die Technik auf der Bühne. Seit seinem neunten Lebensjahr spielt er Gitarre und kam über Konzerte mit Franz Schüler in Kontakt. Verschiedene Musikprojekte verbinden die beiden. Sie spielen gemeinsam in der Band Orae. „Ich kann die Musik nur schwer beschreiben, es gibt so viele unterschiedliche Einflüsse darin. Am ehesten vielleicht experimenteller Death Metal“, meint er nach längerem Grübeln. Es ist auch kein Zufall, dass das Chaos Descends genauso schwer einzuordnen ist. „Wir überschreiten gern MusikGenre-Grenzen, letztes Jahr war es der Künstler Arthur Brown. Diese Jahr ist es nicht minder experimentell“, verspricht Wurzbacher. Er redet von der Band Sunn O))).
Der Student freut sich auf die US-Amerikaner, denn sie spielen eine sehr spezielle und einzigartige Musik. Sie wird als langsam und tieftönend beschrieben. „Über diese Akustik erhält man eine körperliche Erfahrung. Alles vibriert durch diese tiefen Frequenzen. Es kann beim Zuhörer zu einem trance-ähnlichen Zustand führen“, beschreibt er die sehr spezielle Musik von Sunn O))). Ein weitere Besonderheit ist die Spielzeitlänge. Diese kann auch locker zwei Stunden überschreiten, sagt Wurzbacher, der die Band schon drei Mal auf Konzerten erlebt hat.
Er empfindet den Bühnenaufbau für die am Samstagabend spielende Gruppe als Herausforderung: „Musikalisch minimalistisch, aber soundtechnisch maximalistisch.“Deshalb werden
sie allein für diese Band am Morgen drei Stunden lang beschäftigt sein, um alles vorzubereiten. Es werden zwölf Verstärker für die Besucher nicht sichtbar im hinteren Bühnenbereich bereitstehen, während vorn andere Bands mit ihrer Technik auftreten. Für einen normalen Umbau haben die Techniker in der Regel etwa 20 Minuten Zeit zwischen den Auftritten.
Ähnlich aufwendig waren die Vorbereitungen zum Auftritt von Swans. Vor zwei Jahren spielten sechs Musiker auf der Bühne, mit unterschiedlichsten Anforderungen. Der Aufbau sei sehr stressig, planerisch extrem aufwendig und anspruchsvoll gewesen, erinnert sich Wurzbacher. „Plötzlich brach Panik aus! Ein Kabel fehlte“, spricht er ernst: „Der Auftritt stand auf der Kippe, wenn nicht alles hundertprozentig stimmt, wollten sie nicht spielen.“Mit viel Verhandlungsgeschick konnten die Musiker dennoch von einer alternativen Verkabelung überzeugt werden. „Es fiel uns ein Stein vom Herzen.“
Seine Erfahrung und sein Improvisationstalent als Musiker und Techniker sind beim Chaos Descends geschätzt, denn es ist auch Schnelligkeit gefragt: Ebenfalls vor zwei Jahren brannte eine Netzteil durch, während des Auftritts der Heavy Metal Gruppe Ranger. „Ein Glück half uns spontan die Bassistin der vorher spielenden Band mit ihrem Netzteil aus“, sagt er lächelnd. Schnell war die Technik wieder startklar. Und das alles während die restlichen Musiker von Ranger spielten.
Diese enge soziale Interaktion zwischen Bands, Besuchern und Veranstaltern wird bei allen Teilnehmern gleichermaßen geschätzt. Früher sah sich Oliver
Wurzbacher selbst als Besucher auf dem Vorgänger-Festival Hell‘s Pleasure, damals noch in Pößneck. Doch durch die langjährige Freundschaft mit dem jetzigen Organisator Franz Schüler gestaltet er das musikalische Wochenende in Crispendorf mit – und bleibt doch Fan: „Ich sehe das alles als Hobby. Wir sind und bleiben alle Musikbegeisterte“, unterstreicht er den freundschaftlichen Umgang zwischen allen Beteiligten. Denn es gehört schon fast zum guten Ton, als Besucher eine eigene Band zu haben, Konzerte zu organisieren oder zumindest jemanden aus den Bereichen zu kennen.