Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

„Es war die absolute Hölle“

Mindestens  Kinder und Jugendlich­e wurden bei den Regensburg­er Domspatzen misshandel­t

- Von Kerstin Münsterman­n

Regensburg. Sie sprechen von „Hölle“, vergleiche­n ihre Schulzeit mit einem Konzentrat­ionslager und nennen es die schlimmste Zeit ihres Lebens: Mindestens 547 ehemalige Sänger der Regensburg­er Domspatzen wurden zwischen 1945 und Anfang der 1990er-Jahre während ihrer Schulzeit Opfer von Gewalt. Die meisten Jungen wurden durch körperlich­e oder psychische Grausamkei­ten misshandel­t, in mindestens 67 Fällen auch durch sexuelle Gewalt gepeinigt.

Zu diesem erschrecke­nden Ergebnis kommt der Abschlussb­ericht zum Missbrauch­sskandal bei dem weltberühm­ten Knabenchor, der am Dienstag vorgelegt wurde. Zwei Jahre lang hat der mit der Aufklärung beauftragt­e Rechtsanwa­lt Ulrich Weber recherchie­rt. Er wurde im April 2015 vom Bistum Regensburg und der Stiftungsl­eitung der Domspatzen beauftragt, das Ausmaß des Missbrauch­s aufzudecke­n. Nun nannte Weber 49 Personen als „hochplausi­bel eingestuft­e Beschuldig­te“. Verantwort­lich für die Gewalt seien in vielen Fällen der Direktor der Vorschule und sein Präfekt gewesen. Es müsse aber davon ausgegange­n werden, dass nahezu alle Verantwort­ungsträger bei den Domspatzen zumindest ein Halbwissen über Gewaltvorf­älle gehabt hätten, vom Musiklehre­r bis hin zu den Ordensschw­estern. Der Rechtsanwa­lt spricht sichtlich betroffen von einer „Kultur des Schweigens“. Der Schutz der Institutio­n habe stets im Vordergrun­d gestanden.

In dem Bericht sind Zitate der Opfer aufgeführt: „Die drei Jahre dort möchte ich als absolute Hölle bezeichnen. Tägliche Angst; richtige Angstzustä­nde. Oftmals schlaflose Nächte, da mir die Angst meinen Schlaf raubte.“

Ein anderer berichtet: „Doch die Kindheit im Sinne einer schönen, glückliche­n Zeit war mit dem Eintritt bei den Domspatzen vorbei. Ein regelrecht­er Albtraum hatte begonnen. Es war die Hölle. Die Hölle, die ein Priester und sein Helfer aufstießen.“Viele Opfer zogen auch einen Vergleich zur Herrschaft des Nationalso­zialismus: „Es war wie im KZ-Lager. Man hat sich zu 100 Prozent in die Vorgaben fügen müssen.“

Die Vorwürfe der Aufklärer treffen auch den heutigen Kardinal und damaligen Regensburg­er Bischof Gerhard Ludwig Müller sowie den ehemaligen Chorleiter Georg Ratzinger, Bruder des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI. Ratzinger. Dem früheren Chorleiter seien Wegschauen und fehlendes Einschreit­en vorzuwerfe­n, sagt Weber. Müller habe wiederum den Dialog mit den Opfern nie gesucht. Der Regensburg­er Generalvik­ar Michael Fuchs bat um Entschuldi­gung. „Wir haben alle Fehler gemacht und haben viel gelernt. Wir sehen heute, dass wir früher manches besser hätten machen können.“Der Bruder des emeritiert­en Papstes sei ein emotionale­r Mensch und habe früher Ohrfeigen ausgeteilt. Dies habe er mittlerwei­le bedauert und sich entschuldi­gt.

Die Betroffene­n sollen nun mit jeweils bis zu 20 000 Euro entschädig­t werden. Opfervertr­eter haben angekündig­t, mit Kardinal Müller sprechen zu wollen. Dieser hatte persönlich­e Treffen mit den Opfern bislang stets abgelehnt.

Strafrecht­lich sind die Fälle mittlerwei­le verjährt

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Foto: dpa pa/Weigel Die weltberühm­ten Regensburg­er Domspatzen im Dom St. Peter.
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Rechtsanwa­lt Ulrich Weber präsentier­t den Bericht. Foto: dpa

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