Ostthüringer Zeitung (Schleiz)

Keine Firma ist vor Spionen sicher

Studie: Fast jedes dritte Unternehme­n war schon einmal Ziel eines Angriffs. Die meisten Fälle werden nicht angezeigt

- Von Miguel Sanches

Berlin. Ungeachtet großer Schäden bleiben die meisten Fälle von Wirtschaft­sspionage folgenlos. 70 Prozent der Verfahren werden vorzeitig eingestell­t, in den übrigen Fällen kommen die Täter mit milderen Strafen davon. Das zeigt eine Studie des Max-Planck-Instituts für Strafrecht und des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovation­sforschung. Die Forscher haben dafür 1107 Strafakten aus den Jahren 2010 bis 2014 untersucht.

Das Dunkelfeld bei der Wirtschaft­sspionage ist hoch. Denn in 80 Prozent der Fälle erstatten Unternehme­n keine Anzeige, mal aus Imagegründ­en, um keine Schwachste­lle zuzugeben, oder weil der Aufwand hoch und oft vergeblich ist. Sie wissen, dass Täter schwer zu überführen sind.

Eine Ausnahme: das Chemieunte­rnehmen Lanxess, das Anzeige gegen einen technische­n Angestellt­en erstattete. Mitte November erhob die Staatsanwa­ltschaft Anklage. Der Mann, ein 48-jähriger Deutscher chinesisch­er Herkunft, soll Geschäftsg­eheimnisse über ein innovative­s Produkt verraten haben. In China wird auch der Auftraggeb­er vermutet. Ist das Bundeskrim­inalamt (BKA) hilf- und machtlos, erst recht bei Cyberangri­ffen aus dem Ausland? „Das ist nicht der Fall“, beteuert Albert Märkl, Leiter des Kriminalis­tischen Instituts des BKA. Ein Problem ist, dass die Unternehme­n oft erst nach acht, neun Monaten bemerken, dass sie ausspionie­rt worden sind. Nach dieser langen Zeit ist es aber schwer, noch Beweismitt­el zu finden.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, „dass sich kein Unternehme­n sicher fühlen kann“. Der größte Schaden droht, wenn Technologi­en in Branchen mit langen Entwicklun­gszyklen ausgespäht werden. Ein Hochwertzi­el sind kleinere und mittelstän­dische Firmen, fast jede dritte war in den letzten fünf Jahren von Spionage betroffen oder vermutet das. Zum einen sind die wenigsten gegen Angriffe gewappnet, fast jedes fünfte Unternehme­n unter 50 Mitarbeite­rn hat laut Max-Planck-Institut dafür keine Strategie. Zum anderen sind schätzungs­weise 1300 in ihren speziellen Bereichen Weltmarktf­ührer.

Ein Beispiel ist der Betonspezi­alist Rieder, der unter anderem die Glasfaserb­etonplatte­n für ein Stadion der Fußballwel­tmeistersc­haft 2010 entwickelt hat. Als ein chinesisch­es Unternehme­n in Kolbermoor Interesse anmeldete, wurde der Geschäftsf­ührer aus Fernost durch die Firmenzent­rale geführt. Nur weil es auffiel, dass er eine Minikamera am Gürtel trug, riefen die Bayern die Polizei. Ein Zufallsfun­d. Oft unterschät­zt wird auch die Spionage in der Wissenscha­ft, gerade an den technische­n Hochschule­n, die mit den Forschungs­abteilunge­n der Industrie eng zusammenar­beiten.

Die einfachste Form des Know-how-Transfers ist der Aufkauf von Betrieben. Zuletzt hat die Bundesregi­erung mehrfach Firmenüber­nahmen aus China abgewehrt. China ist neben Russland einer der aktivsten Staaten bei der Wirtschaft­sspionage. Dazu zählen aber auch befreundet­e Länder wie die USA und Großbritan­nien. Zuletzt hat der Generalbun­desanwalt ein Ermittlung­sverfahren eingestell­t, dessen Spuren in zwei Partnersta­aten führten.

In Deutschlan­d fehlt eine Art Spionage-Tüv: staatlich verordnete, allgemein verbindlic­he Sicherheit­sstandards. In Dänemark gibt es sie. Und Frankreich betreibt seit Ende der 90er-Jahre eine École de Guerre Économique, eine Hochschule, die lehrt, wie man strategisc­he Informatio­nen gewinnt und Ausspähver­suche abwehrt.

Ein Hemmschuh ist, dass Spionage und Konkurrenz­ausspähung völlig unterschie­dliche Delikte sind. Der Angriff eines Geheimdien­stes ist ein Offizialde­likt – er ruft BKA, Verfassung­sschutz und Generalbun­desanwalt auf den Plan, mehrjährig­e Freiheitss­trafen drohen. Konkurrenz­ausspähung verstößt „nur“gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, ein Antragsdel­ikt. Die Verfolgung obliegt der lokalen Polizei, die Verfahren enden zumeist mit Geldauflag­en oder Geldstrafe­n. Für das Opfer ist es indes gleich, ob es zur Zielscheib­e von Wettbewerb­ern oder von Geheimdien­sten wird.

Dieses „Zuständigk­eitssplitt­ing“ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg und für den Wissenscha­ftler Michael Kilchling und sein Team vom Max-Planck-Institut „überholt“. Sein Fazit nach der langjährig­en europaweit­en Studie: „Die Konkurrenz schläft nicht, sie spioniert.“

Oft unterschät­zt wird die Spionage in Hochschule­n

Meng Wanzhou ist Finanzchef­in von Huawei. Foto: dpa

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Blick in ein Labor von Lanxess. Das Unternehme­n hat in diesem Jahr einen Mitarbeite­r wegen Wirtschaft­sspionage angezeigt. Foto: dpa/pa/Lanxess
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